Wiege des Reviers im Umbruch

In Oberhausen eröffnet heute der größte Konsum- und Freizeittempel Europas. Die Nachbarstädte haben sich mit dem Projekt arrangiert  ■ Von Walter Jakobs

Ab heute rollt der Rubel. Johannes Rau höchstpersönlich wird die Tore zu Europas größtem Shopping-Center in Oberhausen öffnen. Zehntausende werden kommen, um am ersten Tag den großzügig angelegten, mit feinstem Holz und Marmor ausgestatteten Konsumtempel zu bestaunen. 80.000 Menschen sollen hier nach den Vorstellungen der Investoren täglich ihr Geld ausgeben, bis zu 6.000 ihr Geld damit verdienen. Wo es gestern während der Pressebesichtigung noch hämmerte, bohrte und staubte, wird es heute nach den Worten des britischen Hauptinvestors Eddy Healey überall glänzen.

Wo jetzt für insgesamt zwei Milliarden Mark Baukosten das „Centro“ thront, die „Neue Mitte Oberhausen“, stand einst die „Wiege des Reviers“. Das ist fast 240 Jahre her. Von Oberhausen aus nahm die Industrialisierung des Ruhrpotts mit dem Bau der ersten Stahlhütte ihren Anfang. Die neue Nutzung des von Grund auf sanierten, insgesamt 83 Hektar großen Geländes, auf dem zuletzt ein riesiges Thyssen-Stahlwerk ungenutzt vor sich hinrostete, symbolisiert den neuerlichen Wandel der Region: Vom Kohlenpott zur Dienstleistungsgesellschaft – mit starkem amerikanischem Einschlag.

Neben den 200 Geschäften warten im Centro 22 Gaststätten auf Kunden. Dazu kommt eine Flaniermeile mit zahlreichen gastronomischen Attraktionen, ein Freizeitpark, ein Multiplex-Kino von „Warner Bros.“ und eine riesige Veranstaltungshalle, die 11.500 Sitzplätze bietet. Auch Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone sind dabei. Deren Restaurantkette „Planet Hollywood“ serviert gleich gegenüber des Kinopalastes ihre Steaks. Gestern waren die Maler noch dabei, mit den letzten Pinselstrichen die Hollywoodgrößen an der Außenwand zu verewigen. Wenn die Besucher in ähnlicher Zahl nach Oberhausen strömen, wie zu dem vor ein paar Monaten im nahegelegenen Bottrop eröffneten Filmpark „Warner Brothers Movie World“, dann dürften sich die Renditehoffnungen der Investoren wohl erfüllen.

Über 90 Prozent der Läden konnte Investor Healey, Eigner der britischen Stadium Gruppe, inzwischen vermieten. Zusammen mit dem britischen Dienstleistungskonzern P&O hat Healey das Projekt in nur vier Jahren durchgezogen. Maßgeblich vorangetrieben vom Oberhausener SPD-Stadtdirektor Burghard Drescher und der Düsseldorfer Landesregierung – damals noch mit absoluter Mehrheit regierend.

Das zunächst höchstumstrittene Projekt, gegen das die damaligen Oppositionsparteien CDU, FDP und Grüne noch gemeinsam einen Untersuchungsausschuß initiiert hatten, wird inzwischen politisch kaum noch attackiert. Auch der Widerstand aus den Nachbarstädten Essen, Duisburg oder Bottrop, die zunächst eine Verödung ihrer Innenstädte befürchtet hatten, ist weitgehend abgeebbt. So vertritt der Hauptgeschäftsführer der IHK in Essen inzwischen die Meinung, daß das Oberhausener Projekt, „unter dem Strich“ der Region mehr helfen als schaden werde.

Die öffentliche Hand griff für Centro tief in den Steuersäckel. Für die Sanierung des Geländes und die diversen Verkehrsprojekte stellten Land, Stadt und die EU rund 350 Millionen Mark zur Verfügung. Für die britischen Investoren, die laut Healey 1,1 Milliarden Mark selbst investierten, ist das Oberhausener Centro nicht das erste seiner Art. Als Vorzeigeprojekt galt bisher das Einkaufs- und Freizeitzentrum „Meadowhall“ auf einem ehemaligen Stahlwerksgelände bei Sheffield.

In Oberhausen erwartet Healey schon im ersten Jahr einen Umsatz von rund einer Milliarde Mark – im Schnitt zwischen 13.500 und 15.700 Mark pro Quadratmeter Verkaufsfläche. Die Kritik des Vorstandschefs der Karstadt AG, der diesen Wert für unerreichbar hält und darauf verweist, daß im Durchschnitt in der Branche nur rund 10.000 Mark pro Qudratmeter zu erzielen sind, wies Healy gestern zurück. Seine „Meadowhall“ in Sheffield sei von der Umsatzstruktur inzwischen die attraktivste Einkaufsmeile auf der Insel. Das werde in Oberhausen auch so sein.

Fünf Millionen Menschen können das neue Glitzerzentrum innerhalb von 30 Minuten Fahrzeit erreichen. 60 Millionen leben im Umkreis von 250 Kilometern. 10.500 kostenlose Parkplätze, ein neuer Autobahnanschluß, neue Straßen und eine direkt zum Centro führende neue Straßenbahntrasse sollen den Mammutverkehr bewältigen. Ob es klappt, wird sich heute bei der Eröffnung zeigen. Gestern waren die meisten Ampelanlagen noch tot...