Billig und wenig effektiv

■ Senatsprogramm gegen Armut und „sozial-räumliche Spaltung“ sorgt für Wirbel / Fachleute verlangen Nachbesserungen Von Florian Marten

„Die SPD braucht den Mut zum konzeptionellen Gegenhalten. Wir müssen den Menschen in ihrem Quartier Arbeit geben.“ Für Bürgermeister Henning Voscherau steht außer Frage, daß die „Neue Armut“ und die Krise der SPD am besten in einem Aufwasch zu lösen sind. Sein Lieblingssenator Thomas Mirow und dessen Stadtentwicklungsbehörde (StEB) arbeiten gegenwärtig mit Hochdruck an einem Projekt, das ganz in diesem Sinn den Aufschwung in Hamburgs Krisenstadtteile - und Wählerstimmen bei der Bürgerschaftswahl im Jahr 1997 - bringen soll.

Die Rede ist vom Senatsprogramm „Armutsbekämpfung in Hamburg“. Unter Federführung der StEB und unter Beteiligung aller übrigen Fachbehörden und der Bezirksverwaltungen soll es in den sorgsam über die Stadt gestreuten Pilotgebieten St. Georg, St. Pauli-Nord, Altona-Nord, Eidelstedt-Nord, Dulsberg, Jenfeld, Bergedorf-West und Heimfeld rechtzeitig bis 1997 vorweisbare Ergebnisse zeitigen. Mit 10 Millionen Mark pro Jahr nicht gerade üppig ausgestattet, gibt sich das Anfang des Jahres auf den Weg gebrachte Programm auf dem Papier reformradikal und vorausdenkend wie lange kein Senatskonzept.

Grundgedanke ist eine völlig neue Stadtteilentwicklungsstrategie: Gemeinsam mit den Betroffenen und den Bezirken, moderiert von eigenständigen „Projektentwicklern“, sollen innovative Projekte für Wohnen, Arbeiten und Leben im Stadtteil entwickelt werden. Alle Behörden sind verpflichtet, sich nach Möglichkeit auch finanziell an derartigen Projekten zu beteiligen. Programmentwicklerin Monika Alisch, die ihr Werk heute von der StEB aus koordiniert: „Ziel ist es, bereits vorhandene Mittel behördenübergreifend umzusteuern.“

Angestrebt ist dabei nicht die Fortsetzung der bisherigen Strategie von ABM plus Sozialarbeitern, sondern eine soziale und ökonomische Stadtteilentwicklung von unten. Dabei sollen, die Wirtschaftsbehörde staunt, sogar Gewerbeflächen mit Beschlag belegt werden. Angedacht sind unter anderem bezirkliche Beschäftigungszentren und stadtteilbezogene Entwicklungsagenturen. „Verantwortung und Ausführung“, so betont Monika Alisch, „sind nach unten delegiert.“ Die Vision von einem bunten Netzwerk neuer Maßnahmen und Projekte zieht sich wie ein roter Faden durch das Senatspapier.

Bis Ende Mai sollen die ersten Maßnahmenkonzepte in den acht Pilotgebieten vorliegen. In diesen geht es derzeit allerdings, kein Wunder bei einer völlig neuen Strategie, noch drunter und drüber. Mal fühlen sich die althergebrachten Inis ausgebootet, mal riecht der frisch – von oben – eingesetzte Projektentwickler nach altbewährtem Filz, mal herrscht schlicht kollektive Verwirrung und Ratlosigkeit.

Ein Projektentwickler zur taz: „Nachdem die traditionellen Beglückungsstrategien gescheitert sind, hat ein Lernprozeß stattgefunden. Aber immer noch stehen bei den Verwaltungen Machterhalt und die Angst vor Kontrollverlusten im Vordergrund“. Fraglich ist, so meint eine Insiderin, ob am Ende wirklich etwas Neues herauskommt oder bloß das alte ABM-Konzept im sprachlich aufgepeppten Gewand.

Härter geht der Projektentwickler mit der Angelegenheit ins Gericht: „Das Programm wird, ganz gegen seinen Wortlaut, von oben nach unten umgesetzt. Es ist billig, die Behörden sind nicht effektiv. Bei vielen Beteiligten fehlt der gute Wille, manche, besonders die Sozialbehörde, bremsen bereits.“ Auch der Dulsberger Pastor Martin Körber, seit langem in der dortigen Stadtteilarbeit aktiv, klagt: „Die bereits vorhandenen Strukturen vor Ort werden nicht angemessen eingebunden.“ Monika Alisch geht vorsichtshalber schon heute in Deckung: „Es kann sein, daß wir von einigen unserer Ansprüche runterkommen müssen.“

Eine Insiderin kommentiert frustriert: „Von den Ansprüchen ist in der Praxis nichts zu sehen. Echte Beteiligung von unten ist nicht zu erkennen. Sie ist offenbar auch gar nicht gewollt. Das Problem ist die Umsetzung. Eigentlich müßte Hamburgs Verwaltung vorher revolutioniert werden.“