„So überflüssig wie nichts“

■ An einer EU-Richtlinie, die Polstermöbel mit hochgiftigen Chemikalien brandsicher machen soll, entzünden sich die Geister Von Heike Haarhoff

Der Streit entzündete sich an einem Stoff, der eigentlich vor Flammen schützen soll: Um die Brandsicherheit für Möbel in den verschiedenen europäischen Ländern einheitlich zu erhöhen, entwarf der Europarat eine EU-Richtlinie, nach der Polstermöbel und Matratzen zwischen Helsinki und Athen künftig mit hochgiftigen, feuerabweisenden Chemikalien durchtränkt werden müssen. Die sollen dafür sorgen, daß Polster einer Flamme mindestens 20 Sekunden lang standhalten, bevor sie Feuer fangen. Krebserregende Stoffe machen's möglich. Der „Zigarettentest“, mit dem Polster in Deutschland bisher auf ihre Brandsicherheit geprüft wurden, soll angeblich nicht mehr ausreichen.

Industrieverbände, Umweltbundesamt, Bundeswirtschaftsministerium und Verbraucherverbände wehrten sich vehement gegen die geplante Vorschrift; und erzielten einen ersten Erfolg: Die Richtlinie, die nach Auffassung der Hamburger Verbraucher-Zentrale „so überflüssig wie nichts“ ist, wurde erstmal auf Eis gelegt. Unsicher ist, für wie lange.

In der britischen und irischen Möbelindustrie werden schon seit Jahren Baumwoll- und Viskosefasern mit Phosphor- und Synthesefasern mit halogenierten Verbindungen auf Antimon-Basis behandelt, um Betten, Sofas und Kissen „feuerfest“ zu machen. In Deutschland ist der Einsatz dieser Mittel bisher nur eingeschränkt in öffentlichen Gebäuden, Flugzeugen und Zügen erlaubt. Denn: Antimon-Verbindungen gelten als krebserregend und sind genauso giftig wie Arsenverbindungen. „Wenn die Möbel dann trotzdem Feuer fangen, können bei der Verbrennung Dioxine entstehen“, warnt Marion Strey von der Hamburger Verbraucher-Zentrale.

Die Inneneinrichtung als Sondermüll und Krankheitserreger: Ein Gutachten der Uni Aachen belegt, daß die Flammschutzmittel bei direktem Hautkontakt oder Einatmen Allergien hervorrufen. In Verbindung mit Schweiß oder Urin erzeugen sie Vergiftungen, die im schlimmsten Fall zu Herzversagen führen können. „Daran ist in England bereits ein Kind gestorben, und trotzdem wird über die EU-Richtlinie weiterhin diskutiert“, empört sich ein Hamburger Möbelverkäufer. Sollten die Brüsseler Pläne doch noch umgesetzt werden, fürchten vor allem Biomöbel-Hersteller um ihren Umsatz: „Das ist ein Unding. Wir würden dann keine Polstermöbel mehr verkaufen können, denn wir garantieren unseren Kunden, daß unsere Ware naturbelassen und unbehandelt ist“, sagt Jürgen Berger, Niederlassungsleiter eines Hamburger Möbelversandes. Und eine Verkäuferin würde – sollte der „Sicherheitswahn der Gesellschaft“ Wirklichkeit werden – „erstmal auf ein neues Bett verzichten.“

Da das aber keine dauerhafte Lösung ist, fordert die Verbraucher-Zentrale eine Deklarierungspflicht und empfiehlt, sich beim Möbel-Kauf schriftlich bestätigen zu lassen, mit welchen Mitteln die Fasern behandelt wurden. Selbst nachprüfen können es die Kunden nicht: Die Flammschutzmittel sind weder riech- noch fühlbar. Auch die Auskunft des Gesamtverbandes der deutschen Textilveredlungsindustrie in Frankfurt ist wenig ermutigend: Im Bereich des Flammschutzes existierten derzeit keine adäquaten alternativen Mittel, ließ dieser wissen.