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: Komm und sieh

Das Erlebnis, einen Feind zu töten, so berichten jedenfalls amerikanische Soldaten, die in Vietnam gekämpft haben, sei nur mit dem Gefühl eines Samenergusses zu vergleichen. Die Dramaturgie vieler Kriegsfilme folgt diesem Muster: Nach 80 Minuten schlimmster Demütigungen durch den Feind oder auch den Ausbilder wird es dem Helden endlich gestattet, sich in einer orgiastischen Gewaltorgie zu entladen. Rambo hat diese Erzählweise zur Perfektion entwickelt.

Der 1985 entstandene Film Komm und sieh des russischen Regisseurs Elem Klimov ist mit kleinen, aber entscheidenden Unterschieden ähnlich aufgebaut. Die Demütigungen dauern über zwei Stunden, und die Erleichterung am Ende hat nichts Lustvolles.

Erzählt wird die Geschichte des 14jährigen Florian, der sich 1943 in Weißrußland zu den Partisanen meldet, um gegen die Deutschen zu kämpfen. In der Eigangsszene sehen wir ihn noch unbeschwert beim Kinderspiel. Bald darauf fallen die ersten Bomben, die ein häßliches Pfeifen ihm Ohr zurücklassen. Von nun an wird Florian keine Ruhe mehr haben. Der Krieg ist kein Spiel mehr, und er wird in zwei Tagen kein Kind mehr sein.

Dem Kinobesucher gönnt Klimov ebenfalls keine Ruhepause. Sein Film zeigt den Krieg nicht aus der distanzierten und relativ komfortablen Feldherrnperspektive, sondern ist immer ganz dicht bei seinem Protagonisten. Kino in Augenhöhe bedeutet in diesem Fall, daß sich die Kamera gelegentlich knapp über dem Grashalm befindet – und eine Handbreit unter den leuchtetenden Bahnen der MG-Geschosse.

Mindestens ebenso wichtig wie die Kamera ist das Mikrophon. Die Geräuschkulisse, die den Adrena-linspiegel zweieinhalb Stunden nach oben treibt, trägt entscheidend zum harten Realismus dieses Films bei. Krieg ist laut. Das permanente Trommelfeuer auf die Sinne macht aggressiv, immer stärker wird der Wunsch zurückzuschlagen. Klimov erfüllt ihn, aber nur gebrochen.

Nachdem Florian einem furchtbaren Massaker entkommen ist, das deutsche Soldaten in einem Dorf angerichtet haben, lädt er zum ersten Mal sein Gewehr durch. Er legt an auf ein Bild von Adolf Hitler, das in einer Pfütze liegt, und drückt ab, mehrmals hintereinander. Mit jedem Schuß erscheinen atemberaubend montierte Bilder aus Nazi-Wochenschauen, die rückwärts ablaufen. Zerbombte Gebäude richten sich wieder auf, Bomben fliegen in die Flugzeuge zurück. Erst als ein Foto Hitler als Baby in den Armen seiner Mutter zeigt, hält Florian inne. „Mit den Kindern fängt alles an“, hatte kurz zuvor ein gefangener deutscher Soldat gesagt, um zu erklären, warum sie in dem Dorf zuerst die Kinder getötet haben; mit ihm will sich Florian nicht auf eine Stufe stellen. Selbst die furchtbarste Rache kann das Geschehene nicht ungeschehen machen.

Komm und sieh eröffnet im 3001-Kino eine Reihe mit sowjetischen und deutschen Filmen über den Zweiten Weltkrieg (weitere Termine im nächsten Querschnitt).

Hans-Arthur Marsiske

Mi., 19. 4., 3001, 18 Uhr