Akt der Selbstüberwindung

■ Die 20jährige Nicole Seifert ist Hamburgs erfolgreichste Rollstuhlbasketball-Spielerin Von Stefan von Leesen

Vor sieben Jahren schien die sportliche Karriere von Nicole Seifert schon beendet zu sein. Die damalige Spielerin der Hamburger Fußball-Auswahl mußte mit Lähmungserscheinungen in beiden Beinen ins Harburger Krankenhaus Maria Hilf eingeliefert werden. Eine vorübergehende Lähmung diagnostizierten die zuständigen Mediziner, hervorgerufen durch eine Virusinfektion. Sie solle sich keine Sorgen machen. Doch alsbald erwies sich die Diagnose als so falsch wie die Hoffnungen, die die Ärzte der 13jährigen gemacht hatten. Das Virus hatte bereits das zentrale Nervensystem angegriffen. Die Folge: eine Querschnittslähmung vom untersten Wirbel abwärts.

„Ein großer Schock“, sei die endgültige Diagnose für sie gewesen, „niederschmetternd“, erzählt die zierliche 20jährige heute relativ unbefangen. Dem Krankenhaus folgte ein einjähriger Aufenthalt im Rehabilitations-Zentrum Geesthacht, wo sie auf Peter Richarz traf. Der Trainer der Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft schaffte es, Nicole für diesen Sport zu interessieren. In kleinen Häppchen wollte er ihr Rollstuhlbasketball schmackhaft machen: Richarz nahm Nicole mit zur Basketball-Jugendgruppe in Boberg und versuchte ihr, die Feinheiten des Spiels nahezubringen.

Anfangs mit erheblichen Schwierigkeiten. „Ich hatte keine große Lust und kaum Erfolgserlebnisse“, blickt Nicole zurück, die im nachhinein ihre ersten Wurfversuche als einen unromantischen Akt der Selbstüberwindung begreift. Sehr schnell war jedoch zu erkennen, daß ihr vorhandenes Ballgefühl sie zu einer Ausnahmespielerin machen würde.

Heute spielt Hamburgs einzige Nationalspielerin für die zweite Mannschaft des RSC Hamburg in der Regionalliga und ist eine von rund 140 aktiven Rollstuhlbasketballerinnen in der gesamten Bundesrepublik. In der ersten Bundesliga spielen acht Vereine – ausschließlich Männer-Mannschaften. Nur in den unteren Klassen sind auch Frauen dabei, gibt es gemischte Teams. „Männer sind nun einmal kräftiger“, ist Nicoles simple Erklärung für deren Vormachtstellung auf nationaler Ebene.

International hat sich die 20jährige allerdings längst durchgesetzt. Gerade noch auf den Olympiazug nach Barcelona aufgesprungen, erreichte sie 1992 mit dem deutschen Frauen-Team einen hervorragenden fünften Platz und schrammte nur knapp an einer Medaille vorbei. „Ich habe jetzt schon mehr erreicht, als ich als gesunde Sportlerin je geschafft hätte“, zieht Nicole eine positive Bilanz. Die nächsten Ziele hat die Gymnasiastin, die gerade an der Harburger Lessing-Schule das Abitur anstrebt, schon im Visier. Bei den Olympischen Spielen in Atlanta (1996) und den Weltmeisterschaften in Sidney (1998) glaubt sie an Edelmetall. Doch auch wenn sich dieser Wunsch nicht erfüllen sollte, geht mit der Reise nach Australien zumindest ein langjähriger Urlaubstraum in Erfüllung.

Bis dahin hofft die Harburgerin, daß auch Sponsoren ihre Begeisterung für den Behindertensport entdeckt haben werden. Bisher jedenfalls ist der Leistungssport für die Aktiven noch ein Zuschußgeschäft. Dabei haben die Leistungen, die erbracht werden, „allemal höhere Beachtung verdient“, findet Nicole.

Von wirklicher Akzeptanz seien Behindertensportler noch weit entfernt – trotz der vielen Erfolge bei internationalen Wettkämpfen wie den Paralympics. „Es ist eine positive Entwicklung zu erkennen“, freut sich Nicole über die Veränderungen. Und dennoch weiß auch sie, daß es noch immer „ein weiter Weg“ ist. Für eine, deren sportliche Karriere eigentlich schon beendet war, bevor sie wirklich begann, dürfte das jedoch mehr Herausforderung denn Hindernis sein.