WWF will Deiche rückbauen und nicht erhöhen

■ Umweltstiftung fordert Umdenken beim Küstenschutz und 25.000 Hektar Flutraum

Größere Überflutungsflächen entlang der Elb-Ufer sind ökologisch sinnvoller als erhöhte Deiche und bieten den gleichen Hochwasser- und Küstenschutz. Das geht aus einer WWF-Studie zur Situation der Flußmündungen von Ems, Weser, Elbe und Eider hervor, mit der die Umweltstiftung gestern ihre Forderung begründete, die Deiche im Tidegebiet großräumig zurückzubauen und die Fluträume zu renaturieren.

„Ein Umdenken im klassischen Küstenschutz ist dringend notwendig“, warnte WWF-Küstenexperte Holger Wesemüller. Flüsse bräuchten mehr „Freiräume“, Flächen, die gleichzeitig ideale Brut- und Nistplätze für Brachvögel, Flußuferläufer und Kiebitze böten. Martine Marchand, Gutachterin der Küstenökologischen Forschungsgesellschaft, hat zur Umsetzung der Rückdeichungsziele ein zweistufiges Konzept entwickelt. In einem ersten Schritt sollen bis zum Jahr 2005 rund 15.000 Hektar Vorland- und Auenflächen an Elbe, Weser und Ems „an die Natur zurückgegeben“ werden. Dazu müßten Bagger in die vorderen Sommerdeiche große Löcher schaufeln, durch die das Hochwasser einströmen könnte. Die Hauptdeiche weiter landeinwärts müßten dann allerdings verstärkt werden. Siedlungen und Gewerbeflächen seien nicht gefährdet. Eingeschränkt würden allenfalls die Flächen für die Landwirtschaft. Langfristig ist geplant, die Deiche komplett zurückzuverlegen: „Wir wollen dabei auf die Deichlinien aus den 70er Jahren zurückgreifen“, so Martine Marchand. Dadurch würden dann insgesamt 25.000 Hektar Fläche als Flutraum gewonnen.

Finanziert werden soll das Modell durch eine reine Umschichtung des Etats, der im „Rahmenplan Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ für den Küsten- und Hochwasserschutz vorgesehen ist. Holger Wesemüller appellierte an Bund und Länder, die die Kosten zu 70 bzw. 30 Prozent tragen, künftig „die Hälfte der jährlichen Mittel, also 100 Millionen Mark, in die Rückdeichung zu investieren.“

Auf Kritik stieß das Konzept bei dem GAL-Umweltreferenten Thomas Kleineidam: „Rückdeichung allein kann nicht das Mittel sein, um Sturmflutschutz zu gewährleisten.“ Solange die Elbe mehr ein schnurgerader, tiefer Schiffahrtskanal als ein natürlicher Fluß sei, böten Fluträume allein keinen ausreichenden Schutz gegen Hochwasser. „Die WWF-Forderung ist radikal und ökologisch richtig, ihre Umsetzung im Moment aber nicht in Sicht“, so Kleinadam. Und deswegen werde es wohl bei dem Senatsbeschluß aus der vorigen Woche bleiben: Die Elb-Deiche werden erhöht.

Heike Haarhoff