Kein Ort der Kant-Verehrung

■ Kunsthalle: Eine Ausstellung beleuchtet das Verhältnis Hamburgs zu dem Philosophen

„Kant in Hamburg“- ein Ausstellungstitel, der für Verwirrung sorgt: Ist es doch bekannt, daß der Philosoph seine Heimatstadt Königsberg nie verlassen hat. Aber seit ihrer Gründung gehört der Hamburger Kunsthalle eine schon 1866 der öffentlichen Kunstsammlung vermachte Marmorbüste Kants. Und deren Geschichte bringt „die alte, weltberühmte freie Reichs- und Hansestadt, die von jeglicher Beziehung der geistigen Kultur, wie sie durch die neuere Philosophie herbeigeführt wurde, bis jetzt sich ferngehalten hat“, wie noch 1841 ein Autor meinte, in Beziehung zum großen deutschen Aufklärer.

Der Hamburger Gelehrte und Schriftsteller Jonas Ludwig von Heß reist 1800 nach Königsberg, um Kant zu treffen. Dabei wird er Zeuge der Porträtsitzungen von Kant mit dem jungen Bildhauer Friedrich Hagemann aus dem Berliner Atelier Gottfried von Schadows. Durch diese Nähe keimt des Hamburgers Interesse, selbst eine Büste nach dem ersten Modell zu haben. Während Hagemanns eigentliche Auftraggeber in Königsberg später eine idealistisch geglättete Fassung erhalten, kommt so die Hamburger Fassung zustande. Der äußerst präzise Vertrag, den von Heß 1801 in Berlin mit dem Atelier Schadow aufsetzt, ist erhalten. Der Preis ist mit fünfzig Friedrichsd'or oder eintausend Goldfranken durchaus nicht billig.

Für die kleine Ausstellung in der Kunsthalle, die Licht auf einen Ausschnitt der Geistesgeschichte in dieser Stadt vor den napoleonischen Kriegen wirft, trennte sich die Skulpturengalerie der staatlichen Museen Berlin von der vorbildhaften Kantbüste von Emanuel Bardou. Der 1744 in Basel geborene Berliner Klassizist hatte 1798 den Philosophen als antiken Römer gestaltet, und damit den Typ späterer Büsten vorgegeben. Die hiesige Büste ist von allen vorhandenen am wenigsten idealisiert, man mag darin einen Ausdruck Hamburgischen Realitätssinns sehen.

Trotz Guachen gebildeter Abendgesellschaften und zahlreicher Erstausgaben Kantscher Bücher will die Ausstellung nicht das falsche Bild entwerfen, Hamburg wäre ein Ort der Kant-Verehrung gewesen. Der Königsberger sei „ein Wechselbalg, der Tiefsinn lügt“ lästerte damals Friedrich Gottlieb Klopstock. Auch seine Alabasterbüste befindet sich in der Ausstellung, zusammen mit dem Bildnis des Domherren Lorenz Meyer, der beide Denker verehrte. Dieser hochgebildete Mann besorgte sich durch einen Königsberg-Reisenden schon Anfang 1800 eine Porträtminiatur Kants. Auf diesem erstmalig gezeigten Bildnis ist zu sehen, daß der damals 75jährige nun wirklich alles andere als ein antiker Halbgott war. Aber fotografische Ähnlichkeit war es nicht, was die Zeit von einer in tadellosem Marmor gefaßten Philosophenehrung erwartete.

In seiner Eigenschaft als Kom-mandant der Hamburger Bürgergarde rettete Heß 1813 beim Einmarsch der Franzosen außer seiner eigenen Haut nur die Kantbüste. Mit dieser Anekdote schloß Joist Grolle seine Einführungsrede letzten Donnerstag und setzte mahnend eins drauf: „Die Büste ist unverletzt, aber ist es auch das sittliche Empfinden in dieser Stadt?“

Hajo Schiff Kunsthalle, bis 18. Juni; Buch zur Ausstellung: Joist Grolle, „Kant in Hamburg, der Philosoph und sein Bildnis“: 16 Mark