Kontinuität der Blindheit

■ Gastspiel von Kresniks „Ulrike Meinhof“ am Schauspielhaus

Während heutige Jugendliche mit erhitzten Ansichten Ulrike Meinhof schon wieder als Vorbild verklären, hat die Generation, zu der Johann Kresnik gehört, diese bezeichnende Biografie und ihre Bedeutung für die Geschichte der BRD erfolgreich verdrängt. Folglich ist die grelle Wut, mit der Kresnik Symbole und Metaphern aus dem politischen Mottenpulver schlägt, nur allzu verständlich. Seine 1990 in Bremen uraufgeführte und für die Berliner Volksbühne 1993 überarbeitete Ulrike Meinhof-Choreografie, die Freitag und Sonnabend als Gastspiel am Schauspielhaus lief, strotzt dementsprechend von Gespenstern der 70er Jahre, die mit dem Krieg gegen die RAF gleich mitentsorgt wurden.

Nazifratzen und Vergasungsszenen, Schlager- und Pelzseligkeit des Wirtschaftswunders, Vietnamgreuel und Wiederbewaffnung, all die Bilder, die für die Generation der Studentenrevolte zu übermächtigen Plakaten einer sich jeder Selbstkritik verweigernden Gesellschaft nach 1945 wurden, montiert Kresnik zu einer Revue des Scheiterns. Ein Scheitern, das für eine wiederauferstandene Ulrike Meinhof 1990 im Wiedervereinigungstaumel gleichzeitig beginnt und endet. Verhärmt und entsetzt wandelt sie durch den kreischenden neuen Nationalismus und verzweifelt vor einem Bruchstück der Mauer an der Kontinuität der Blindheit.

Ihr folgt die junge Ulrike Meinhof auf ihrem Leidensweg, der gleichzeitig ein Heilsweg der inneren Erstarkung ist. Erlebnissen folgen Entscheidungen und treiben sie zu der Konsequenz, den affektierten Selbstbetrug fortzuführen oder zu kämpfen. Hier zögert sie, ihre „geistige“ Anstaltskleidung zu zerschneiden, und die dritte Meinhof schreitet zur Tat. Sie führt nun den „revolutionären“ Kampf, der von einer brutalen, übermächtigen Staatsmaschinerie mit Insektengift und Isolationshaft vernichtet wird. Kresnik findet für diese Geschichte Bilder, die trotz ihrer Grellheit unmittelbar und zwingend sind. Schade also, daß dies nur ein Gastspiel war. Till Briegleb