Die Sinnlichkeit am Fluß

Von Surfromantik, stotternden Restfassaden und einem Hauch mediterranen Flairs: Ein Rundumschlag zur Hafenrandbebauung  ■ von Till Briegleb

Echte Perlen gibt es schon für 30 Mark. „Die sehen dann aber nicht gut aus!“ weiß der Juwelier. Perlen am Hafenrand sind da schon ein bißchen teurer, so ab die 30 Millionen aufwärts. Dafür sehen sie aber auch nicht gut aus. Zumindest die meisten. Dabei verkauft uns die offizielle Staatspropaganda doch seit vielen Jahren die Hinwendung der Stadt zum Fluß als architektonisches Reformationswerk erster Güte. Der biederen und rücksichtslosen Zerstörung von Stadtqualitäten in den vergangenen 50 Jahren wollte man mit der Sinnlichkeit einer „Perlenkette“ entgegentreten. Was kann diese Verheißung anderes suggerieren als Verführung durch stilvollen Schmuck und die Darstellung eines neuen künstlerischen Selbstbewußtseins? Doch statt dessen räuberten die lokalen Architekten wieder nur Omas Schmuckkästchen und da ist zudem in einer lutherischen Stadt nicht viel drin.

Traurigstes Beispiel: die Kehrwiederspitze. Nachdem es diverse Wettbewerbe mit teils wunderbaren Lösungen gegeben hat, die ein gemischtes Quartier mit in Hamburg ungesehener Architektur vorschlugen, setzten sich am Ende wieder die Schwerblüter durch. Hamburgs emsigste Innenstadt-Verschandler, die Herren Kleffel, Köhnholt, Gundermann, sollten den Akzent an der Spitze setzen, verstanden unter Akzent aber leider wieder nur die lokale Sprachfärbung, hier in einer aufgeregten Großform. Ein wehrhafter, stumpfer Wall aus Backstein zur Südseite, der völlig unproportionierte gläserne Hüftschwung zur Stadt hin und eine stotternde Restfassade aus Büroglasschubern lassen zum wiederholten Mal die Frage aufkommen, in welchem selbsterfundenen, vergangenen Jahrhundert die Hamburger Architekten sich eigentlich zu Hause fühlen.

Noch überflüssiger ist der sich anschließende Bau des britischen Großbüros Kohn, Peddersen, Fox, dessen Name den Eindruck erwecken soll, hinter der Massenproduktion von Bauten in aller Welt würden noch Künstlerpersönlichkeiten stecken. Wer das leere Bürogebäude dort stehen sieht, wird ernsthafte Schwierigkeiten bekommen zu benennen, wie lang dieses dort schon steht. Monate, Jahre, Jahrzehnte?

Auf der anderen Seite, vor dem gelungenen neuen Elbanleger von Will Alsop und me-di-um, gaukelt das neue Design-Zentrum stilwerk mit seiner neu erfundenen „Denkmal“-Fassade eine selige Wiedergeburt der Backsteingotik vor, während der Greenpeace-Klotz gegenüber immerhin einen Versuch betreibt, die Umnutzung historischer Bausubstanz durch heutiges Architekturrepertoire sichtbar zu machen – leider nur mit dem bescheidenen Erfolg, daß man sich über den Umbau nicht ärgern muß.

Dazwischen geschah einiges, von dem man nicht weiß, ob die Erfinder der Perlenkette es überhaupt als Bestandteil der schmucken Umhälsung der Stadt verstanden wissen wollen. Die Bebauung am Elbhang, deren erste Phase überwiegend fertig ist, prägt zumindest ebenso den Blick vom Wasser her, wie die teure Büroüberproduktion. Und mit einigem Erstaunen muß man feststellen, daß Hamburg, das bei der Wohnungsbau-Architektur so entsetzlich hintenan steht, hier zumindest eine formidable Anlage hinbekommen hat: die Baulückenschließung bei der Hafenstraße.

Der Komplex besitzt zwar weder den Swing der einst von Hinrich Baller für die Hafenstraße geplanten Bebauung, noch die wilde Demonstration architektonischer Gedankenfreiheit, die Zaha Hadid hier vorgeschlagen hatte, aber im Bereich der konventionellen Lösungen ist diese Anlage eine qualitätvolle Umsetzung. Ein unaufdringlicher Rhythmus von Loggien, Fenstern unterschiedlicher Größe und dezenten Farbtupfern verleiht der weißen, backsteinfreien (!) Fassade zur Bernhard-Nocht-Straße großstädtisches Gepräge, während ein perspektivisches und farbliches Spiel von der Hafenstraße her zu bewundern ist. Durch die abgetreppten Traufhöhen der zwei Bauzeilen, die zinnenartige Ausformung des unteren Baukörpers, die stürzenden Linien, die durch den leichten Winkel des Baublocks entstehen, und die einfallsreiche Verbindung von Balkonen, Fenstern und offenen Gängen entsteht ein angenehm unnordischer Wohnkomplex. Die ungewohnte Farbgebung, weiß mit kräftigen orange-roten Flächen zur Kennzeichnung unterschiedlicher Massen, verleiht dieser Anlage des Architekturbüros Schäfer-Agather zudem Leichtigkeit und einen Hauch mediterranen Flairs.

Auch die weiteren Neubauten zwischen diesen Straßen und am Pinnasberg korrigieren am Bild von Hamburger Backstein- und Waschbetonwohnsilos. Allerdings weit weniger gelungen. Ungeschickte Backsteinsockel am Pinnasberg führen hier zu Hochzeitskleidern in Gummistiefeln, und eine weitere Hüftschwung-Fassade an der Hafentreppe penetriert den Geschmack in der Sockelzone mit gräßlicher Surfromantik, die einen wünschen läßt, der Unkünstler hätte lieber aufgepinselt, wie der mitabgebildete Hai den Wassersportler aufißt. Dazwischen befindet sich noch die Erweiterung der Grundschule Friedrichstraße mit einem überraschenden gläsernen Treppenhauskern von Welm, Seifert, Möller, über deren Gelingen aber erst nach Fertigstellung etwas gesagt werden sollte.

Eins aber ist zu bemerken: Altlinke Horrorvisionen vom zerstörten Stadtteil sind hier ausgeblieben. Zwar ist das meiste hier auch nur Perlen zu 30 Mark, aber die Alternative war Klinker zu 1,50 Mark. Und man ist ja in Hamburg schon mit kleinem zufrieden.