Kugel auf Bücherschrank

■ „West/Arp“: Zeitgenössisches spiegelt Surrealistisches im Kunstverein

Hier kann man mehr als gucken: einige der gipsernen Teile von Franz West dürfen benutzt werden. Auch die Sofas in der am Donnerstagabend eröffneten neuen Ausstellung des Kunstvereins sind Kunstobjekte. Sie laden zu ruhiger Betrachtung der zusammen aufgestellten rohen Plastiken des 50jährigen Wieners und den glatten Skulpturen des vor 30 Jahren verstorbenen surrealistischen Abstrakten Hans Arp.

Die Anwendung seiner Objekte ist für Franz West genau so wichtig wie künstlerische Koproduktion. Piece pour 6 Etudiants, Kuben und Kugeln auf Bücherschränken und einem Klo, ist in einem Kurs zusammen mit Studenten entstanden. Und die Nutzerzelle samt Spiegel folgt einem Entwurf von Michelangelo Pistoletto. Koproduzent ist auch der Besucher: erst in der Benutzung werden Sofas und „Paßstücke“ zum Werk.

Einmal auf die Spur gebracht, wird man noch früher fündig: „Einen Winter lang trug der Bildhauer einen Stein auf dem Kopf. Er war einer Karyatide ähnlich, der gebälktragenden Figur an einem griechischen Tempel. Es war ein verfluchtes Geschäft für den Bildhauer“, so schrieb Arp. Und ein Foto von 1938 zeigt ihn vergnügt genau in dieser Haltung – so wie Franz West ein halbes Jahrhundert später.

Grundidee der Ausstellung war die Formähnlichkeit der Arbeiten, wie Kunstvereinsdirektor Stephan Schmidt-Wulffen erläutert. Mit der Konfrontation von einem Klassiker der Moderne und einem aktuellen Künstler sollte der unterschiedliche Umgang mit Skulptur gezeigt werden. Doch der prozessual denkende Wiener ist mit der musealen Aufsockelung seiner eher beiläufigen Objekte sehr zufrieden und die gesicherten Formen des Hans Arp entfalten neue Irritationen: aus der demonstrativen Differenz ist ein kreatives Verwirrspiel geworden.

Die Ausstellung bricht beiläufige Kunsturteile auf. Aus der schönen Präsentation von Skulpturen wurde eine mit Objekten belegte theoretische Fragestellung zur Kunstrezeption.

Was heute langweilig und „klassisch“ erscheint, sind Werke, die erst die Kunstvermittlung der 50er und 60er Jahre isolierend umstellt hat. Für die damalige Aufnahme der Surrealisten in die Museen wurden Arbeiten in die Transzendenz hoher Kunst eingebettet und ihnen damit der Prozeßcharakter genommen. Mit Etiketten wie „Die absolute Präsenz höherer Wahrheiten“ wurden die Arbeiten geadelt und bis zur Wirkungslosigkeit entschärft.

Dabei war die Beschäftigung mit der Metaphysik des deutschen Mystikers Jakob Boehme nur eine Seite im Werk von Hans Arp, der immerhin den Dadaisten und Surrealisten nahe stand. Wie selbstverständlich für ihn neben der Offenbarung der Form auch der Prozeßcharakter war, belegt der Katalog, der aber erst in drei Wochen erscheint. Deutlich wird dies zudem in der kleinen Präsentation im Erdgeschoß: 1934 bietet Arp ein Stück Papier an, damit der Kunde es zerreißen und selbst zum Bild zusammenpassen kann. Hajo Schiff

bis 3. November, Kunstverein in Hamburg