Wand und Boden
: Warum kaufen?

■ Kunst in Berlin jetzt: Gerz, Dolven, Brahm, Hattan

Für die Ausstellung in der Busche Galerie hat sich Jochen Gerz eine schlichte Kombination aus Text und Bild überlegt, die verblüffend präzise funktioniert. Zwei Fotos einer monochromen Einöde am Meer sind in jeweils 15 Rechtecke zerlegt, gerahmt und zu zwei Meter hohen Wandtafeln installiert worden. Daneben liegt weiße Wachskreide aus, mit der BesucherInnen auf die verglaste Bildfläche malen oder Kommentare schreiben können. Diesen Vorgang bezeichnet Gerz als „interaktive Arbeit“, und man ist zunächst verwundert über die Eilfertigkeit, mit der der in Paris lebende Künstler nach dem Hamburger Faschismus-Denkmal und der Bremer Befragung nun Kunst und Öffentlichkeit kommunizieren läßt. Doch davor schützt das vermeintlich neutrale Bildmotiv: Gerade die anonyme, leicht verwaschene Aufnahme vom Strand reizt offenbar zu extrem weit gestreuten Reaktionen. „up up and away“ steht auf einer Platte, ein anderer hat das Wort „einsam“ aufgeschrieben und naiv ein Auto dazugemalt. Die zweite Fassung von „What you buy is what we fear“ ist dagegen schon komplett zugekritzelt, vom Foto sind kaum mehr als ein paar graue Ecken zu erkennen. Zu dieser Art positivem Vandalismus paßt auch die Bemerkung eines Besuchers am unteren Rand: „Why buy?“ Es zählt zu den Stärken von Gerz, daß man tatsächlich keine Antwort erhält.

Bis 19. 10., Wielandstr. 34, Di– Fr. 13–18.30, Sa. 11–14 Uhr

Wie lang ist ein Augenblick? Das Video „short happiness – last long“ von A. K. Dolven in der Galerie Gebauer & Thumm dauert vielleicht zehn Minuten. Ein Mädchen sitzt auf einem Baum, ab und an schlenkern die Beine, der Arm greift nach einem Ast, der Kopf beugt sich zur Seite, das Haar weht im Wind. Nach einer Weile erst bemerkt man den ausgestopften Vogel, dessen Gefieder nur manchmal leicht von einem Luftzug aufgewirbelt wird. Das Ganze ist schwarz auf blauem Grund gefilmt wie ein Scherenschnitt, statt bewegter Bilder sieht man nicht mehr als ein bewegtes Bild. In ihrer Arbeit führt die von der Malerei kommende norwegische Künstlerin eine fast stillstehende Handlung in Abstraktion über. Anders als in den Videos von Bill Viola lädt sich die Situation weder mit Pathos noch Bedeutung auf. Statt dessen konzentriet sich Dolven auf die reduzierte Farbigkeit. Irgendwann ziehen rosa Streifen über die Projektion, und das starre Blau changiert mit der Zeit in feinen Nuancen. Das sanfte Flimmern wiederholt sich auf drei ebenso sparsam mit geometrischen Figuren besetzten Gemälden. Auch hier gehen Raffinement und Augenzwinkern zusammen. „It is not so complicated“ steht neben einer sich überkreuzenden weißen Schlaufe. Eine andere Arbeit ist „you decide when you want to leave the place“ betitelt – demnächst geht Dolven für ein Jahr nach London.

Bis 19. 10, Di.–Fr. 14–19, Sa. 13–16 Uhr, Torstraße 220

Im Bau-Container vor dem Hotel unter den Linden ist es kalt. Fußgänger bleiben hier nur stehen, um sich nach einer der vielen Baustellen Richtung Friedrichstraße zu orientieren. Kein günstiger Platz für Bilder. Daniela Brahms Freiluftausstellung „die kommunikation auf der erde ist erstaunlich gut“ ist ein merkwürdiges Projekt. Bis zum 3.10. stellt sie Arbeiten vor und diskutiert mit Passanten. Ein Bekannter schüttelte nur den Kopf – nie würde er sich und seine Kunst so schutzlos ausliefern. Tatsächlich ist Brahm längst nicht so naiv, schließlich wird doch Kontext gern öffentlich diskutiert. Ob und inwieweit die Bilder aber außerhalb des Betriebs funktionieren, ist eine andere Frage. Brahm jedenfalls malt bewußt akademisch Portraits auf PVC- Tafeln, die zwischen Kunstgeschichte und Geschlechterfragen pendeln. Mal taucht ihr Gesicht fleischfarben verschmiert auf wie bei Bacon, dann sieht man sie vor moderner Glasarchitektur als Reiterstandbild, der Unterleib ist frei nach Leonardo da Vincis Studien durchleuchtet. Wer will, findet darin eine Menge Unbehagen in Sachen Frauen, Körper und Identität. Irritierender sind allerdings unvermittelte Übergänge von krasser Industrielackierung zu weichen Tupfspuren. Sie werden passend zum Motiv am Computer ausgearbeitet und nachgemalt, weil „echte Farben viel sinnlicher sind“.

Mi.–So. 12–19 Uhr

Auch Eric Hattan benutzt containerartige Räume, die er an vier Orten mit Rigipsplatten ausgebaut hat. Architektur für die Übergangszeit: Am Weinbergweg, Nähe Rosenthaler Platz, steht bis Ende Oktober ein Wohnwagen, der sich um eine Straßenlaterne wickelt; für die Hackeschen Höfe/III wurde die „Station Ü 841“ gestaltet (bis 20.10). Das Künstlerhaus Bethanien zeigt ein „Zwillingszimmer“ des Schweizers, und in der Galerie Wohnmaschine hat er einen kargen Korridor nach Art Bruce Naumans konstruiert. Anders als Brahm in ihrer permanenten Anwesenheit vor Ort geht Hattan recht gelassen mit der Materie um. Seine Räume sind Wahrnehmungsspielzeuge im öffentlichen Raum. Von John Lennon stammte die Idee, eine komplette Zimmereinrichtung an die Decke zu nageln. Besucher sollten, ängstlich aufs Mobiliar starrend, nach einer Weile den Boden unter den Füßen verlieren. Hattan reicht für die Irritation ein Türspion, den er an der Außenwand seiner Installationen anbringt. Dort erscheint ein Raum, der leicht von der realen Situation abgewandelt ist. Man schaut hinein, und bewegt sich doch an einem anderen Ort. Im Bethanien steckt ein Eisenpfeiler mitten im Zimmer, der durch den Spion betrachtet unsichtbar bleibt, die Installation in der Wohnmaschine wird von einer Mauer durchbrochen. Auf Kollhoffs simulierte Zukunftsstädte übertragen, bedeutet diese Einsicht in die Architektur: Man darf nicht allein den Augen trauen, der Körper war zuerst da. Harald Fricke