Atlantis im Aufbau-Ost-Format

Im Studio des Maxim Gorki Theaters inszenierte Oliver Reese seine Bühnenfassung von Jens Sparschuhs Kurzroman „Zimmerspringbrunnen“ – „Komm, komm!“ lockt Ulrich Anschütz  ■ Von Nikolaus Merck

Zugegeben, beim täglichen Grübeln über die metaphysische Unbehaustheit des Menschen war uns die sinnstiftend kathartische Qualität eines Zimmerspringbrunnens bisher entgangen. Die Entdeckung des Luftbefeuchters als „Ort spiritueller Ich-Erfahrung“ ist das bleibende Verdienst von Alois Boldinger, Besitzer der Firma Panta Rhein, des führenden Herstellers von Zimmerspringbrunnen. Patriarch Alois Boldinger hat außerdem noch eine andere Gabe: Er kann seine Handgelenke schütteln. Klar, daß diese Kunst berührungsloser Begrüßung Hinrich Lobek beeindruckt, denn Lobek ist gebürtiger Ostler und damit passionierter Händeschüttler.

Boldinger und Lobek entstammen Jens Sparschuhs satirischem Kurzroman „Der Zimmerspringbrunnen“. Vor einem Jahr erschienen, gilt Sparschuhs „Heimatroman“ als eine Art Pendant zu Thomas Brussigs Onanisten-Heroica „Helden wie wir“. Kein Wunder, daß sich das nach Zeitstücken barmende Theater jetzt auch des Nach-Wende-Mikrokosmos Sparschuhs bemächtigt hat.

Die Fabel ist einfach. Lobek, abgewickelter Wohnungsverwaltungsbürokrat, wird Vertreter für Zimmerspringbrunnen. Seine Frau verläßt ihn, weil er ihre Ehe wie einen Aktenvorgang betreibt und die Neubauwohnung zum Lager für unverkäufliche Geräte umfunktioniert. Haushund Freitag beschädigt den Walfischbrunnen Jona, aus dem Wrack entsteht dem passionierten Heimwerker unter der Hand („die Hand ist klüger als der Kopf“ – Heiner Müller) der Brunnen Atlantis in DDR-Umriß mit wasserspeiendem Fernsehturm. Atlantis wird der Verkaufsschlager in klandestinen Freundeskreisen DDR-Vertriebener, Lobek winkt der Aufstieg zum Verkaufsleiter Ost. Der weihnachtliche Versöhnungsversuch mit Ehefrau Julia scheitert, Ende offen.

Am Maxim Gorki Theater hat Oliver Reese Sparschuhs Text auf eine 90-Minuten-Fassung eingedampft und selbst inszeniert. Den Hinrich Lobek spielt Ulrich Anschütz. Manfred Krug trällert Heines „Im wunderschönen Monat Mai“, DDR-Schlagerstar Holger Biege schluchzt, er wolle keine andere als dich, und Ausstatterin Ursula Müller hat eine verkleinerte Fickzelle Marke „Platte Innen“ auf die Studiobühne gestellt. Küchendurchreiche, Klapptisch, Klappstühle, Kugellampen. Der unter dem Fußboden sichtbare Anschnitt des darunterliegenden Raumes, vergrößert durch den spiegelnden Bühnenboden, läßt das Zimmer bei schummriger Beleuchtung schweben. Der Plattenbau als Pop-Ikone.

Ulrich Anschütz überrascht. Kein Rasen und Renken wie bei Götz Schuberts Klaus Uhltzscht nebenan im Deutschen Theater. In zehn Auftritten, die den zehn Kapiteln des Romans folgen, erzählt er die Geschichte seines Hinrich Lobek aus der Rückschau. Während der allmähliche Kostümwechsel von gebeuteltem Mantelungetüm, Trainigshose und Unterhemd hin zu Krawatte und Anzug vom beruflichen Erfolg des Lobek künden, bleibt Anschütz zurückhaltend, ganz einfach, fast leise. Dabei sucht er beständig den Kontakt zum Publikum, macht es zum einverständigen Komplizen seiner Abscheu vor Westschrippen und seiner Verwunderung über das eigene Vorleben („Man muß es schon selbst erlebt haben, um es nicht zu verstehen.“).

Nur wenn Lobek den gelenkeschüttelnden Boldinger andeutet oder den Westkollegen Strüver, der ungeheuer locker das Verkaufsseminar leitet und im Osten die Sitten und Gebräuche der Eingeborenen studieren will, blitzen seine Augen. Dann lehnt er den Oberkörper zurück, bläst sich auf und reckt das markante Kinn ins Licht. Zuletzt sitzt Anschütz auf der eingerissenen Wand seiner Plattenhöhle. „Komm, komm!“ lockt er, das strahlende Blauauge einer noch ungeahnten Zukunft zugewandt. Ein ironischer Abend der Selbstvergewisserung im Gorki Theater. Die DDR-Archäologie geht weiter. Und das ist gut.

Wieder am 18. und 28.9., 20 Uhr, Studiobühne des Maxim Gorki Theaters, Hinter dem Gießhaus