Nur jeder Vierte will ran

■ Ab 1. November können die Geschäfte länger öffnen. Ein Gespräch mit Jörg Wiedemuth von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV)

taz: Wenn das neue Ladenschlußgesetz in Kraft tritt, werden die Beschäftigten länger arbeiten müssen. Welche Arbeitszeitmodelle hat HBV entwickelt?

Jörg Wiedemuth: Zunächst einmal müssen die Beschäftigten nur an drei Abenden in der Woche länger arbeiten und nur an drei Samstagen im Monat erscheinen. Natürlich können sich die Betriebsparteien auch auf andere Arbeitszeitregelungen einigen. Wir haben einige attraktive Alternativmodelle im Tarifvertrag vereinbart. Im Grunde sind das drei: Zum einen gibt es die Viertagewoche. Ein weiteres Modell sieht vor, daß die Beschäftigten alle vier Wochen ein langes Wochenende haben, Freitag bis Montag. Und nach dem dritten Arbeitszeitmodell arbeiten die Beschäftigten Wechselschicht. In der ersten Woche haben sie Frühschicht und können um 18.30 Uhr oder früher nach Hause gehen. In der zweiten Woche folgt eine Spätschicht, in der sie später anfangen und bis 20 Uhr bleiben.

Können die Betriebe abweichende Regelungen treffen?

Die betriebsinternen Regelungen dürfen nicht Planungen von heute auf morgen sein. Die Mitarbeiter müssen ihre Arbeitszeit und ihre Freizeit systematisch planen können. Zum Beispiel mit einem 5er-roulierenden System. Dabei hätten die Beschäftigten in einem Rhythmus von jeweils fünf Wochen ein superlanges Wochenende, Freitag bis Dienstag. Dieses 5er-roulierende Modell haben wir noch mal mit einer Schichtregelung abgewandelt. Denn das große Minus der Arbeitszeitmodelle besteht darin, daß sie nur mit einer langen täglichen Arbeitszeit funktionieren...

...Arbeitszeiten von mehr als neun Stunden...

...Ja, das ist in der Tat nicht ganz unproblematisch. Deshalb haben wir auch über andere Lösungen nachgedacht. Wenn man ein roulierendes Freizeitmodell kombiniert mit einem Schichtmodell, könnte man bei einer täglichen Arbeitszeit von achteinhalb Stunden trotzdem attraktive Freizeitsysteme schaffen. Bei dem 5er-roulierenden System zum Beispiel haben die Mitarbeiter alle fünf Wochen dieses superlange Wochenende und die Frühschicht arbeitet von 9–18 Uhr, die Spätschicht von 10.30–20 Uhr. Man hat zwar eine lange tägliche Arbeitszeit, aber auch nur vier Arbeitstage. Alle drei Wochen gibt es ein langes Wochenende und dazwischen immer zwei zusammenhängende Tage frei.

Wer will denn an solchen Arbeitszeitvarianten teilnehmen?

Wir schätzen, daß etwa 75 Prozent der Angestellten am liebsten nicht nach 18.30 Uhr arbeiten würden. Das können Arbeitszeitmodelle natürlich nicht gänzlich auffangen. Aber wenn die Beschäftigten am 1. November einen akzeptablen Ausgleich für die zusätzlichen Arbeitszeiten bekommen, denke ich schon, daß recht viele das ganz attraktiv finden könnten.

Die meisten Beschäftigten im Handel sind Frauen. Wie kommen sie mit den neuen Arbeitszeiten klar?

Frauen, die Beruf und Familie miteinander verbinden müssen und schulpflichtige Kinder haben, arbeiten nach wie vor lieber morgens. In den bisherigen Tarifabschlüssen in Bayern, Rheinland- Pfalz und dem Saarland können sie sich von der Spätarbeit befreien lassen, zumal es dann ab 18.30 Uhr einen Freizeitzuschlag von 20 Prozent geben soll. Diesen Zuschlag wollen wir in Zeit, nicht in Geld.

Könnte die neue Regelung zu Ärger im Betrieb führen?

Natürlich dürfen nicht immer die einen die gute und die anderen die schlechte Regelung erwischen.

Wird es für die Klein- und Mittelbebetriebe schwerer?

Dort wird es am kompliziertesten. Aber diese Betriebe müssen ja nicht an allen Abenden geöffnet bleiben. Das werden sie nach unserer Einschätzung ohnehin nicht tun, sondern etwa nur an drei Abenden öffnen. Wahrscheinlich wird es wie beim langen Donnerstag: Maximal 25 Prozent der Geschäfte werden wohl an den neuen Öffnungszeiten partizipieren. Interview: Anja Dilk