■ Greenpeace feiert an diesem Wochenende in aller Welt 25. Geburtstag. Ein Blick auf eine quasireligiöse Organisation
: Das Wohlbehagen an der Natur

Nach einem Vierteljahrhundert ist Greenpeace zum Mythos geworden. Als wahrscheinlich einzige Organisation dieser Art hat Greenpeace sich um den halben Globus verbreitet. Sie beansprucht bei vielen ihrer Anhänger, egal, ob ihnen das bewußt ist, den Status einer Ersatzreligion. Was 1971 im kanadischen Vancouver mit einer Handvoll Gegnern des Vietnamkriegs und des Kalten Krieges als kühne Aktion anfing – auf alten Kuttern gegen Atomtests und später Waljäger in See zu stechen, als rotgrüne Piraterie sozusagen –, hat heute ein anderes Gesicht. Doch unter der frischen Kosmetik verbergen sich alte Irrtümer.

Schon zur Gründungszeit waren religiöse Züge unübersehbar. Unter den Stiftern der Bewegung fand sich so mancher Politesoteriker, der, auf hoher See in Wahrsagebüchern nachschlagend, den Walfangflotten auflauerte und den Walen dann auf der Flöte vorspielte. Auf alten Fotos nimmt sich diese Gründerzeit rührend und schauderhaft hippieromantisch aus. Damals konnte solches Verhalten gewiß noch die Unschuld der Hippie- und Rockkultur jener Tage für sich beanspruchen, die ja, wie wir wissen, verloren ist. Neben den kommerziell gewordenen Popstars jener Tage hat Greenpeace mittlerweile den Charakter einer kommerziellen Poporganisation angenommen, die, mit der Unschuld von einst, erfolgreich hausieren geht um das Geld von heute.

Die Situation ist ein bißchen grotesk: Der Protest gegen die Waren- und Konsumgesellschaft ist selbst zur Ware geworden und kann – von der Öffentlichkeit – konsumiert werden.

Dieser Protest verspricht im Namen von Greenpeace eine bessere Welt. Und das ganz einfach: Green soll sie sein, sowie peaceful. Stillschweigend setzt das Motto Greenpeace voraus, daß eine grüne Welt eine friedliche werde, man sich mithin um soziale und politische Fragen nicht kümmern müsse, sich diese vielmehr wie von selbst lösen, wird man erst der Fauna und Flora des Planeten in ihrem Tun gerecht: Eine dem Imaginären, der Konstruktion von Natur ergebene Kinderideologie, die sich gut verbreiten und verkaufen läßt.

Daß in dieser Ideologie schon Anfang der siebziger Jahre der Denkfehler lag, der der Organisation die Entwicklung zu einer reellen, pragmatischen Politisierung versperrt, liegt auf der Hand. Wie stark an Vorstellungen des 19. Jahrhunderts die Phantasie der Akteure orientiert ist, daß nämlich ein naturgegebener, sozusagen genetischer Kern der Dinge existiere, dürfen Greenpeace und seine Anhänger um so weniger merken, je größer der Erfolg ist. Offenbar fiel darum auch nicht auf, daß Greenpeace unlängst beim Thema Gentechnologie das Wort „Genverschmutzung“ benutzte: Das klingt nicht nur im deutschen Sprachraum skandalös.

„Das Unbehagen in der Kultur“, schrieb Sigmund Freud 1930 in seinem gleichnamigen Aufsatz, sei schwer zu ertragen. Überall fordere die Gesellschaft Triebverzicht, dieser wiederum schaffe Unlustgefühle und rufe damit verschiedene Techniken der „Leidabwehr“ durch „Libidoverschiebung“ hervor. An diesem Befund des Doktors ändert sich nichts, solange wir uns, hoffentlich, weiterhin durch Sprache und Kultur als soziale Wesen konstituieren. Daran aber, wie wir das tun, ändert sich ununterbrochen eine Menge. Handeln und Verhandeln etwa sollen weltweit gewaltfreier werden, dafür arbeiten internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen. In erster Linie erfordert dies allerdings das Anerkennen der anderen als politische Wesen mit dem Bedürfnis, respektvoll und respektiert zu sein, anstatt ausgebeutet zu werden.

Die Greenpeace-Ideologie, die sich nach wie vor in einer Anwaltschaft für Fische und Bäume anstatt für fisch- und baumnutzende Leute erschöpft, sorgt dafür, daß ihr Augenmerk auf die „Verbrechen an der Natur“ beschränkt bleibt und sich nicht ablenken läßt durch Verbrechen von Menschen an anderen Menschen (zum Beispiel Shell in Nigeria), deren größtes nach wie vor der Zwang ist, als Subjekt Warenförmigkeit anzunehmen, um essen und wohnen zu können. Kurzum: Kommen Naturanwaltschaft und Menschenrechte bei Greenpeace-Aktionen zur Deckung, ist das Zufall, nicht Absicht.

Die Organisation ist technizistischer geworden und, wie es heißt, „lösungsorientierter“; sie promotet lobenswerte Kühlschränke und benzinsparende Kleinwagen. Hinter den Aktivitäten steckt jedoch noch dieselbe Ideologie: Wenn erst ein Vertrag mit der Natur geschlossen sei, würde die Gesellschaft schon irgendwie gut werden. Es verhält sich aber eher umgekehrt: Wo die Gesellschaft fairer wird und weniger regressionsfördernd, wird auch ihr Verhalten gegenüber den Ressourcen weniger rücksichtslos werden. Für solche Vorhaben läßt sich aber keine schlichte Ideologie (Tier = gut, Mensch = ungut) basteln. Da gibt es nur die komplexe, demokratische Debatte, die keinen Endpunkt hat und in deren Mittelpunkt die Subjekte selbst stehen.

In der Unübersichtlichkeit der Welt bietet Greenpeace einen unschätzbaren Vorteil: den des Übersichtlichen, das auch bei geringer Denkanstrengung verstanden werden kann. Es verwundert nicht, daß die Organisation erfolgreich – insbesondere in Deutschland – an eine intellektuellenfeindliche Tradition anknüpft und Kritikern mit grimmiger Skepsis begegnet. Die kritischen Geister könnten das Selbstgefühl stören, womöglich etwas verraten – nicht als Verräter, sondern als solche, die einen Dauerbetrug aufdecken.

Der latenten, subkulturell geprägten und eklektizistischen „Naturreligion“ von Greenpeace haben sich in den achtziger und neunziger Jahren mit einer gewissen Logik die professionellen Glaubenssysteme des Spätkapitalismus angekoppelt: Geld, Macht und Technizismus. Daß sich dabei ein pragmatischer Zug herausgebildet hat, ist vielleicht trotz allem erfreulich – an der Fehlkonstruktion des Konzepts Green-Peace ändert es jedoch kein Jota.

Gesellschaftlich sinnvoller und weniger naturvernebelt wäre es, würde sich Greenpeace irgendwann als das ausgeben, was es praktisch zunehmend wird: eine Consultingagentur für Nutz- und Schutzkonzepte von Ressourcen. Doch dann würde der Nimbus erlöschen, der die grünen Schiffe umgibt, der Mythos würde zerstieben. So verkauft Greenpeace weiterhin der sich unbehaglich in der Kultur fühlenden Menge eine Illusion: Es könne, eines grünen Tages, in einer Green New World nichts Geringeres als eine neue Weltordnung herrschen – im Wohlbehagen an der Natur. Caroline Fetscher