Wahlen in Zeiten der Bewährung

■ Heute, ein knappes Jahr, nachdem in Bosnien-Herzegowina die Waffen schwiegen, wird gewählt. Nach wie vor ist in einigen Regionen die Lage gespannt. Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Wahlen in Zeiten der Bewährung

Noch einmal war Sarajevo in das Grün der Flaggen der muslimischen Nationalpartei SDA getaucht. Die abschließende Wahlveranstaltung im Stadion der Stadt hatte am Donnerstag abend über 100.000 Menschen angelockt, die begeistert Alija Izetbegović, dem bosnischen Präsidenten, zujubelten. In der serbischen Hochburg Pale waren es rund 20.000 Anhänger der Karadžić-Partei SDS, die ihre neue Führerin Biljana Plavšić unterstützten.

In der Tat werden viele an den Wahlen teilnehmen. Doch der jetzige Wahlgang, so fürchten Kritiker, werde unter den gegebenen Umständen keineswegs zu einer Integration des Landes, zu einer Demokratisierung führen, sondern zu einer Desintegration, weil er die alten Mächte, die den Krieg geführt haben, bestätige. Im ganzen verhalte sich die Internationale Gemeinschaft inkonsequent. So sei es nicht einmal gelungen, für die bosnischen Journalisten Bewegungsfreiheit durchzusetzen – von einem Zeitungsaustausch ganz zu schweigen. Die Bewegungsfreiheit für alle Bürger Bosnien-Herzegowinas sei keineswegs hergestellt.

Robert Frowick, der für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, die Wahlen organisiert hat, widerspricht. Die Wahlen, so sagt er, müßten als Teil eines Prozesses verstanden werden, der in die richtige Richtung führe. Immerhin sei es den Oppositionsparteien sowohl im serbisch wie im muslimisch kontrollierten Gebiet Bosnien-Herzegowinas offenbar gelungen, zumindest regional Einbrüche zu erzielen, so in Banja Luka, in Tuzla und auch in Sarajevo. Nur in den kroatisch kontrollierten Gebieten sei die Nationalpartei HDZ ohne wirkliche Alternative geblieben.

Stolz ist Robert Frowick auf seine Entscheidung, die Gemeindewahlen zu verschieben. So sei viel Sprengstoff aus dem Wahlprozeß genommen worden, erklärte er. Ein Mandat für die Abhaltung der Gemeindewahlen habe die OSZE jedoch noch nicht erhalten. Dazu sei die Zustimmung der serbischen Seite notwendig. Wenn die aber nach den Wahlen blockiert und die Gemeindewahlen lediglich unter eigener Regie führen wollte, was dann? Dann könnten die Vertriebenen wohl kaum teilnehmen. Wird hier ein doppeltes Spiel betrieben? Nein, sagt Frowick, die Gemeindewahlen würden wie vorgesehen stattfinden.

In der Tat sind manche Vertreter der internationalen Institutionen jetzt selbstsicherer geworden. Die in den Nato-Ländern diskutierte und mit großer Wahrscheinlichkeit befürwortete Verlängerung des Mandates einer internationalen Truppe stärkt jene Mitarbeiter der internationalen Administration für Bosnien-Herzegowina, die sich für eine Integration des Landes und eine Demokratisierung einsetzen. Auch an die Etablierung eines internationalen Protektorates ist gedacht.

Aber so weit ist es noch nicht. Denn noch besteht die Chance, daß die Wahlen erfolgreich verlaufen und damit gewählte Vertreter in den Institutionen sitzen, die „für ihre Taten verantwortlich gemacht werden könnten“. Dies jedenfalls hoffen die Oppositionsparteien im muslimisch-bosnischen Gebiet, so der Spitzenkandidat der „Gemeinsamen Liste“, Zlatko Lagumdzija, der ohnehin erst bei den in zwei Jahren erneut angesetzten Wahlen die entscheidende Weichenstellung für die Zukunft Bosniens sieht.

Aber der Wahltag ist Gegenwart. Und die für die Organisation der Wahlen Verantwortlichen sehen mit gemischten Gefühlen ihrer Bewährungsprobe entgegen. Zwar sind die Stimmzettel an ihren Bestimmungsorten angelangt, zwar sind die Wahllokale hergerichtet, zwar stehen Autos und Hubschrauber bereit, um die Wahlbeobachter und Kontrolleure zu ihren Bestimmungsorten zu bringen. Ifor-Soldaten werden an 19 Übergängen der Demarkationslinien stationiert und die wichtigsten Straßen kontrollieren, um die Fahrt der Vertriebenen an ihre Heimatorte zu sichern. Zwischenfälle aller Art sind jedoch nicht auszuschließen.

Es bleiben neuralgische Punkte. In der westbosnischen Stadt Prijedor zum Beispiel, die durch die Umstände der Vertreibungen 1992 traurige Berühmtheit erlangte, warnen die serbischen Behörden vor Tausenden von bewaffneten Muslimen, die über die Grenze kommen würden. So soll die serbische Bevölkerung mobilisiert und jegliche Kontaktaufnahme mit den zur Wahl kommenden ehemaligen Nachbarn unterbunden werden.

Vor allem in jenen Gegenden, die vom Krieg in besonderer Weise betroffen sind oder wo Verbrechen begangen wurden, ist die Lage nach wie vor sehr gespannt. So in den ostbosnischen Gebieten um Srebrenica und Brčko, in Zepa und Zvornik, in Westbosnien, aber auch in manchen von Kroaten beherrschten Gebieten, vor allem in der nahe Mostar gelegenen Stadt Capljina. Nach der Verschiebung der Kommunalwahlen werden sich jedoch weit weniger Vertriebene wie ursprünglich erwartet auf den Weg machen, um an ihren Heimatorten zu wählen.