Lesungen am Montag

Yoko Tawada liest aus „Der Talisman“

Was war zuerst da? Das Huhn oder das Ei? Geist oder Materie? In diesem Fall die Schriftstellerin Yoko Tawada, die in ihrem neuen Erzählband Der Talisman (konkursbuch) die Seele der Dinge reflektiert. Tawada, die 1979 aus Japan nach Deutschland kam, thematisiert in den meisten Erzählungen ihre mystische Verbindung zum Schreiben: Eine Frau auf der Schwelle empfange ein Leuchten aus einer unsichtbaren Welt. Jedes Wort gewinne sein eigenes Leben. „Es gibt sogar Wörter, die so lebendig sind, daß sie wie mystische Figuren ihre eigenen Lebensgeschichten entwickeln können.“ Die politische Satire „Eigentlich darf man es niemand sagen, aber Europa gibt es nicht“ sticht aus diesem Kontext einsam hervor.

Die in Hamburg lebende Yoko Tawada erforscht den Einfluß von Sprache auf Leben, wobei sie wie Hegel in der Phänomenologie des Geistes den Geist der Dinge versus die Materie setzt. Als Fremde in einem anderen Land – ohne die dort gewachsenen Verbindungen zwischen Bezeichnungen und Gegenständen – bietet sich Tawada die Möglichkeit, eine „beseelte“ Kopf-Welt aufzubauen.

Für diesen Kosmos bringt sie ein Beispiel: Bei den Tungusen etwa zieht die Seele des Schamanen den Sippenfluß abwärts, wo sie als Tier und Schutzgeist wiedergeboren wird. „Die Seele ist unabhängig von der Person. Was sie erfährt, kann der Mensch nicht wissen.“ Das erinnert an Emir Kustaricas Film Arizona Dreams und den dort fliegenden Eskimofisch als Symbol freigelassener Träume.

Es entstehen viele neue Blickwinkel auf Deutsche, „deren Symbol der Nußknacker ist, ein Spielzeug, das lieber arbeitet!“ Deutsche, so Tawada weiter, müßten immer kritisieren, „nicht weil sie alles schlecht machen wollen, sondern weil die Kritik die Grundform ihres Denkens ist.“

Ihre Vorstellungen von Seelen-Geistern zeigt Tawada in der Erzählung „Der Klang der Geister“ als Schwingungen in der Luft, die durch die Obertöne der Musik empfangen werden. Die Verwirrung der Leserin oder des Lesers ist wohl beabsichtigt. Der „beseelten Welt“ ein Eigenleben zu gönnen enthebt den Geist der Kontrolle und der Herrschaft über die Materie. Auf diese Weise kämen auch Deutsche an mehr Sicherheitsgefühle, rät Tawada. Ansonsten müssen Sie zur Vermeidung der Überschreitung einer gefährlichen Grenze schnell das Fuchsfenster – mit beiden Händen einen Kreis – bilden und durch die Öffnung blicken!

Kerstin Kellermann

Evangelische Akademie, Esplanade 15, 19 Uhr

Erika und Thomas Mann – der Briefwechsel

Als sie im November 1905 geboren wurde, gab es Enttäuschung. Ihr Vater Thomas hatte sich einen Jungen gewünscht, denn: „Ich empfinde einen Sohn als poesievoller, mehr als Fortsetzung und Wiederbeginn meiner selbst unter neuen Bedingungen.“ Sein Verhältnis zum „anderen Geschlecht“ hat sie wohl nicht deutlich verbessert, doch ihr eigenes zum Vater und seines zu ihr wurde für beide zur engen Bindung zwischen Liebe und Sorge.

Erika Mann, die Weltreisende, die gefeierte Schauspielerin, wurde vor allem im US-amerikanischen Exil Thomas' wichtigste Beraterin, zur Tragenden, Entscheiderin. „Uns ist in unserer Jugend eine große Verantwortung aufgeladen in Gestalt unseres unmündigen Vaters“, hatte Erika im August 1933 an ihren Lieblingsbruder Klaus geschrieben. In den Jahren in den Vereinigten Staaten, die sie schon nicht mehr als Exil empfand, war die ehemalige Autorin von Kinderbüchern zur bekannten politischen Autorin und Kommentatorin geworden. Nebenbei half sie dem Vater bei dessen öffentlichen Auftritten und dem Umgang mit der englischen Sprache und baute ihn auf, wenn er es brauchte. In der Familie war sie – neben Klaus – die politisch Denkende, die den „Zauberer“ notfalls auch mit Liebesentzug zu deutlicheren Stellungnahmen nötigte.

Vor allem die Briefe, die den wichtigsten Part des Buches Erika Mann. Mein Vater der Zauberer von Irmela von der Lühe und Uwe Naumann ausmachen, verdeutlichen das einmalige Verhältnis zwischen Mann, der im Leben alles andere als der standhafte Block war, als der er – auch von der Familie – gern verkauft wurde, und Erika, die seine Unsicherheiten perfekt zu konterkarieren wußte: mit Ratschlag ebenso wie mit liebevollem Spott, der nirgendwo so deutlich wird wie im Ton dieser Briefe.

Vom McCarthyismus mit Berufsverbot belegt, verlor Erika Mann ihre eigene Karriere. Ihr Unglück im feindselig gewordenen Land war einer der Gründe für den erneuten Umzug des greisen Mann von Los Angeles nach Zürich, wo Erika zur Ausführenden der letzten Lebensjahre wurde.

Nach Manns Tod 1955 wurde sie folgerichtig zur „Dichterwitwe“, zur schwierigen Verwalterin des väterlichen Werks. Trotzdem endete, als sie am 27. August 1969 starb, paradoxerweise ein besonders unabhängiges Leben, in dem sie nur gegen Ende zum „bleichen Nachlaßschatten“ des Vaters wurde.

Die Autoren stellen heute das Buch vor, Erla Prollius und Matthias Fuchs lesen aus dem Briefwechsel. Thomas Plaichinger

Literaturhaus, 20 Uhr