Ein Mann mit Bedürfnissen

Gesicht der Großstadt: „Toilettenkönig“ Hans Wall stattet nicht nur Berlin mit vollautomatischen Toiletten und Wartehäuschen aus  ■ Von Dorothee Winden

Vor fünfzehn Jahren hätte sich Hans Wall mit 5 Millionen Mark einfach zur Ruhe setzen können. Doch statt seinen mittelständischen Betrieb im badischen Ettlingen dichtzumachen, entschloß er sich, so richtig durchzustarten. „Hans, du bist ein Spieler!“ warf ihm seine Frau an den Kopf. Doch der risikofreudige Unternehmer war besessen von seiner Idee: die Städte der Welt mit Designertoiletten, Wartehäuschen und modernen Litfaßsäulen auszustatten.

Heute bezeichnet sich der 54jährige als der „Berliner Toilettenkönig“. Die Flure seines durchgestylten Firmensitzes in Velten bei Berlin sind von Plakaten gesäumt: eine Wall-Toilette vor New Yorker Wolkenkratzern, ein Wartehäuschen mit der Moskauer Basilikuskathedrale im Hintergrund. „Born in New York, made in Berlin“, heißt es stolz auf einem Werbeprospekt. Für die schmalen Gehwege in New York hat Walls hauseigene Entwicklungsabteilung die „kleinste behindertengerechte Toilette der Welt“ entworfen.

Ein Vorführmodell steht im City Hall Park in Manhattan. „Wenn ich in meinem Büro am Broadway sitze und in die Straßenschluchten hinunterblicke, stelle ich mir vor, daß dort eines Tages überall meine Produkte stehen“, sagt der Firmengründer mit dem kantigen Kinn. Der Stoppelhaarschnitt läßt den 54jährigen trotz der grauen Schläfen jugendlich wirken.

Von der eigenen Entwicklungsabteilung hat Hans Wall „fünfzehn Jahre lang geträumt“. Die automatische Fußbodenreinigung der Wall-Toilette wurde dort erfunden: Der Fußboden wird um 30 Grad geneigt, und aus zahlreichen Düsen spritzen Wasserstrahlen etwaige Verunreinigungen weg.

Seinen Betrieb verlegte Wall 1984 nach Spandau, weil er erkannte: „Um gegen den Franzosen [die Konkurrenzfirma Decaux in Paris; d.Red.] anzukämpfen, brauchst du ein Schaufenster.“ Von Berlin aus wollte er „Europa aufreißen“, und „New York erobern“. Wall stürzt sich mit Elan in den Konkurrenzkampf. Kein Zweifel, er will gewinnen. Er ist ein Befürworter der behindertengerechten Toilette, doch nicht nur weil ihn Behinderte überzeugt haben. Wall war clever genug, darin einen Marktvorteil zu erkennen, mit dem er seinen französischen Konkurrenten aus dem Feld schlagen kann. „Decaux hat hundert Designer, da müssen wir mit zehn gegen anstinken“, sagt der Perfektionist, der sich in seiner David- Rolle sichtlich wohl fühlt.

Zwei Gesten kehren immer wieder: die triumphierend geballte Faust und der Griff der rechten Hand zum Herzen. Der Konkurrenzkampf hat seinen Tribut gefordert: Vor zwei Jahren mußte sich Wall einer Herzoperation unterziehen. Seitdem hat er die Geschäftsführung zunehmend seinem 31jährigen Sohn Daniel übertragen.

Daß Wall senior in die Außenwerbungsbranche geriet, hat der Maschinenbautechniker einem Zufall und seinen mäßigen Zeugnissen zu verdanken. Der Sohn eines Molkereibetriebsleiters scheiterte schon an der Aufnahmeprüfung für ein Maschinenbaustudium. Seine Bewerbungen als Techniker bei großen Firmen blieben wegen seiner mäßigen Zeugnisse erfolglos. Wall, der heute eine Firma mit 250 MitarbeiterInnen und 70 Millionen Mark Jahresumsatz leitet, nahm vorübergehend einen Hausmeisterjob an, seine Ehefrau ging putzen.

Schließlich gab er eine Anzeige auf: Konstrukteur übernimmt Aufträge aller Art. Darauf meldete sich ein Werbeunternehmen. Dort arbeitete man damals mit bescheidenen Mitteln: „Die haben Holztäfele aufgestellt“, erinnert sich Wall. Er war erstaunt, „daß die mit so einem Mist soviel Geld verdienen“, und dachte sich: „Bloß weg mit dem alten Käs'!“

Er beauftragte Designer und entwickelte sein Firmenkonzept: Entwicklung, Produktion, Wartung und Werbung aus einer Hand. In Velten bei Berlin werden die „Stadtmöblierungsprodukte“ entworfen und hergestellt. Das Werk, das vor zwei Jahren in Betrieb ging, ist bereits zu klein. Am vergangenen Mittwoch wurde dort der Grundstein für eine zweite Produktionshalle gelegt.

Wie sein historischer Vorgänger, der Berliner Drucker Ernst Litfaß, der um die Jahrhundertwende Litfaßsäulen aufstellte, in denen sich ein Pissoir verbarg, setzt Wall auf die Kombination von Bedürfnisanstalt und Werbung. Sein Konzept ist clever: Die vollautomatischen chipgesteuerten Toilettenhäuschen stellt er den Städten kostenlos zur Verfügung. Im Gegenzug darf er Litfaßsäulen und Plakatwände gebührenfrei auf öffentlichem Straßenland aufstellen. Für Kommunen mit leeren Kassen ist das Konzept höchst attraktiv. Der Berliner Senat, der 1993 einen Vertrag über die Aufstellung von 111 Wall-Toiletten abschloß, will damit Reinigungs- und Wartungskosten in Höhe von 20 Millionen Mark sparen.

Litfaß wurde mit seinen Plakatsäulen steinreich. Und auch Wall „verdient nicht schlecht“. Welch ein Understatement! Mittlerweile vermarktet er europaweit 15.000 Plakatflächen. Er trägt allerdings auch das Risiko: Wenn die Auslastung der Werbeflächen unter 60 Prozent rutscht, schreibt die Firma rote Zahlen. Anfangs glaubte niemand, daß er mit seinem Konzept Erfolg haben würde. Inzwischen läuft das Geschäft so gut, daß Kritik an Walls „Exklusivvertrag“ laut wird. Die bündnisgrüne Finanzexpertin Michaele Schreyer kritisiert die Monopolstellung, mit der die Firma die Werbepreise diktieren könne. „Schlecht“ sei der Vertrag für das Land auch deshalb, weil die Toiletten nach Ablauf der 25jährigen Laufzeit nach wie vor Wall gehörten. Dem Land bleibe damit kaum eine andere Wahl, als den Vertrag zu verlängern.

Außerdem setze Wall die Bezirke bei den Toilettenstandorten „unter Druck“. „Wenn eine Toilette nicht am richtigen Standort steht, bringt es nichts“, sagt Wall. „Da machen wir keine Kompromisse.“ Den Vertrag mit der Olympiastadt Atlanta ließ er platzen, weil er mit den angebotenen Standorten nicht einverstanden war.

Der Firmengründer macht jeden Tag einen Rundgang durch die lichtdurchflutete Werkhalle. Alle Mitarbeiter kennen ihn, auch das Reinigungspersonal. Wall präsentiert sein Unternehmen gern als Familienbetrieb und sich selbst als den großzügigen Chef: „Wenn sich einer von meinen Leuten selbständig machen will, unterstütze ich den mit Aufträgen“, sagt Wall. Ein Mitarbeiter, der zwei Wochen lang bis tief in die Nacht an einem Vorführmodell werkelte, durfte zur Belohnung samt Familie in die USA fliegen. Solche Wohltaten verpflichten natürlich immens.

Auch gegenüber Berlin fühlt sich Wall als Mäzen: Als nächstes will er die 21 historischen Toilettenhäuschen, auch „Café Achteck“ genannt, wiederherstellen. Die Stückkosten von 300.000 Mark sollen über weitere Großwerbeflächen reinkommen. „Es glaubt mir ja niemand, daß es mir darum geht, die Städte zu verschönern“, seufzt er. Und das sagt er mit einem so entwaffnenden Charme, daß man ihm fast glauben könnte.