■ Nur mit Wackelpudding zu ertragen: ARD-Kinder-Gala
: Die Kinderherzschrittmacher

Das kommt dabei heraus, wenn Erwachsene sich was für Kinder überlegen: ARD, Bild, OBI und Telekom luden am Samstag zur großen „Ein Herz für Kinder“- Gala und zerrten in die eitle Prominentenspenderrunde immer wieder Kinder, die offenen Mundes Geige spielten, von Krebs geheilt worden waren oder Plastikbälle, die jeweils fünf gespendete Mark symbolisierten, in einen Korb warfen.

Ich hatte eigens meine Cousine Christine und ihre Freundin Doreen, beide fünf Jahre alt, zum Fernsehabend eingeladen. Ähnlich hilflos wie die ARD und ihre Helfershelfer hatte ich literweise Wackelpudding und jede Menge Trollis – eine neue Spielart aus der Gummibärchenfamilie – eingekauft. Das, dachte ich, mögen sie bestimmt, und dann halten sie auch eineinhalb Stunden Gala aus. Als sie um kurz nach acht vergnügt durch meine Hütte sprangen („Wo ist die Cola?“), war ich aber doch froh, daß sich zu meinem Klischeeeinkauf noch ein Haufen weiterer Kindererfreuer gesellten, die die vernünftigen Mütter der beiden in die Pocahontas-Rucksäcke gestopft hatten. Jetzt verklebt „Kinder-Pingui“ meine Fernbedienung. Kinder mögen so was.

So was wie die ARD-Gala mögen Kinder allerdings nicht. Eva Hermann, die das Schulterklopfen auf Kosten darbender Kinder mit – wem sonst – Alfred Biolek moderierte, narkotisiert meine Gäste gleich zu Beginn mit der Bitte, die „Herz für Kinder“-Kasse „bei weitem zu mehren“, sowie mit vermeintlich wachrüttelnden Zahlen über Kinder, „deren Lebensqualität durch Krieg beeinträchtigt wird“. Noch haben meine Gäste Hunger und also wenig Energie, ihren Unmut zu äußern – zwei Wackelpuddings später jedoch muß ich mich dem im Sprechchor vorgetragenen „Ausmachen, Ausmachen!“-Diktat beugen und umschalten. Doch an diesem Abend geht es auf ihren Lieblingssendern überall um Geld und Wohltat: Bei RTL wird um 100.000 Mark geturnt und auf Viva mahnt das „Greenpeace-Wochenende“.

Zurück also zur Gala, wo inzwischen Otto, Marie-Luise „Lindenstraße“ Marjan und weitere Kinderherzschrittmacher an „Prominententelefonen“ sitzen und Spenden entgegennehmen. Das ist prima interaktiv finden auch Christine und Doreen und erstaunen mich im fingerfertigen Wählen der „eingeblendeten Nummer“, kriegen aber statt Otto nur einen lahmen Telekom-Mann an die Strippe. Im Fernsehen gibt es derweil Gesang von Pur, Gebete von Eva Hermann („Sie sind klasse, wow, super!“) und Gewitzel von Otto. Am Spendentelefon fragt der Geldentgegennehmer indes nach Christines Telefonnummer und der „genauen Summe“, woraufhin sie souverän auflegt. Bei weiteren Versuchen verlangt sie immer wieder arrogant „einen Prominenten“ zu sprechen, was aber jedesmal „aufgrund eines Zufallsprinzips“ angeblich nicht geht.

Auch Harald Juhnke hat ein Herz für Kinder, ebenso Peter Maffay und die Prinzen, und „wir sind inzwischen bei zwei Millionen“ lechzt Eva, als sei es ihr Geld. Die Namen einiger Spender, die von Frau Hermann ein ums andere Mal bekniet werden, „aber auch wirklich dann am Montag gleich“ ihre telefonisch avisierte Spende zu entrichten, werden eingeblendet. Das möchte Doreen unbedingt auch. So rufe ich für sie an, und sage, daß „meine kleine Nachbarin ihr Sparschwein geknackt“ hat, „genau 17 Mark 76, niedlich nicht“, und sie wolle so gerne eingeblendet werden – nichts! Erst als wir uns als „Autohaus, 100 Mark“ ausgeben, klappt es. Dann muß ich auf Geheiß meiner inzwischen eher ungnädigen Gäste („Wie lange noch?“) ein Fax versenden, wobei es sich nicht um ein „Angebot für die Olympiawand handelt“, sondern um den Satz „Peter Maffay schwitzt so eklig“, mit dem ich mich vollauf identifiziere.

Alfred Biolek indes scheint seit seinem Kohl-Interview komplett transzendiert. Sein reizvolles Eingangsversprechen „Ich sag' nur Saumagen“ hält er allerdings nicht, sondern stellt uns „stellvertretend drei Engel vor, Menschen, die sich...“ usw. Diese Menschen werden nach einfühlsamen Interviews mit Dachziegeln und Autos beschenkt, damit sie auch weiterhin so viel für Kinder machen können. Da wissen die Engel dann immer gar nicht, was sie sagen sollen.

Doreen schläft inzwischen, Christine hat eben kurz geweint, dann zu Hause angerufen, und ruft nun nochmal bei der Telekom an und sagt einfach „Arschloch“ zu dem netten Telekom-Mann, der schon wieder nicht Otto war.

Ein Biolek-Engel bekennt, daß er Furcht habe, wenn er selbst nach Ruanda fährt, Angst jedoch, wenn seine Frau fährt. Diese feinsinnige Unterscheidung findet Alfred Biolek „ach schön“. Und wie immer, wenn eine kleine Pause entsteht, brandet Beifall im Saal auf, egal, ob es um „Zwischenstände“, Engel oder Peter Maffay geht.

Doreen ist vom lauten Applaus aufgewacht und behauptet, daß einer der Prominenten, deren Namen man sich niemals merken kann und will, „bei uns im Hausmeiserhaus wohnt“. Dann schläft sie wieder ein. Inzwischen, unfaßbar, findet Eva Hermann, sind die drei Millionen übertrumpft, und es gilt, was Bild seit Wochen predigt: Riesensache das alles, und zehn Mark von jemandem, der es nicht so hat, bringen genauso viel wie 10.000 von irgendeiner Firma. So macht Marktwirtschaft Spaß.

Um meine stark gelangweilten „kleinen Gäste“ (Heinz Sielmann) zum Ende der Sendung („es ist genial, geben Sie alles“, Eva Hermann) noch einmal an den Fernseher zu kriegen (Christine spielt in der Küche Sängerin, und Doreen habe ich ins Gästezimmer zwischengelagert), zaubere ich Eis aus dem Kühlschrank. So kommen sie gerade noch recht zum großen Kinderhilfsfinale: Dieter Bohlen raunzt etwas „For the Children of Love“, Nebelschwaden machen alles ganz sakral, und jeder Prominente schnappt sich ein Kind und tut so, als ob er singt. Harald Juhnke haucht – völlig losgelöst vom Liedverlauf– immer „World“ und „Love“, wenn die Kamera sich nähert.

Am Ende sind „über fünf Millionen Mark zusammengekommen“. Natürlich muß man davon unsere Anrufe abziehen, allzuoft hatten wir 20 Mark gespendet, um Otto zu sprechen. Später in der Nacht hat Doreen noch gekotzt. Ich befürchte, der Wackelpudding ist diesmal unschuldig. Benjamin v. Stuckrad-Barre