Die Farbe des Hemdes

■ Ob Brücke, Ecke oder Fluß – Robert Forster macht einen Song draus

Es gibt Frühstück. Fisch, Spiegelei, Käse, frisches Brot. Kaffee. Sonnenlicht dringt durch die durchsichtig weißen Vorhänge. Draußen ist die morgendliche Außenalster in Hamburg. Drinnen der Frühstückssaal einer feudalen Pension. Mit einem Gesicht wie gefaltetes Papier setzt sich Robert Forster, die Augen verschlafen, die Haare noch müder, an den Eßtisch und murmelt auf deutsch Worte der Bestellung an eine Kellnerin. Ein Schluck Kaffee mit Milch. Das war es, was er gebraucht hatte. Guten Morgen.

Am Abend zuvor hatte der lange, dünne Mann im kanariengelben Einreiher einen kurzentschlossenen Auftritt in einem Etablissement namens „Heinz Karmers Tanzcafé“ gegeben, einem heruntergekommenen Raum mit dem Flair des unaufgeräumten Wohnzimmers aller Journalisten- und Musiker-WGs der Hansestadt. Robert Forster hatte im stehenden Qualm der Zigaretten Lieder seines neuen Albums „Warm Nights“ gespielt, das der Australier zusammen mit Edwyn Collins in London aufgenommen hat, und Songs seiner ehemaligen Band The Go-Betweens. Deren Mitgliedern geht es übrigens ganz gut. Im Mai gab die Band ein einmaliges Reunion-Konzert in Paris. Es soll wie früher gewesen sein. Und Robert Forster trug auch dort stolz seinen gelben Anzug.

Geschrieben hat Forster, der mit der aus Regensburg stammenden Sängerin Karin Bäumler verheiratet ist, die neuen Songs in Brisbane, Australien. Das Paar hat die letzten Jahre im subtropischen Klima der Ostküste gelebt. „Warm Nights“ ist in gewisser Hinsicht eine Niederschrift von Erinnerungen und Stimmungen, und pünktlich zum Erscheinen des neuen Albums wird der Umzug nach Regensburg abgeschlossen sein. „Ich liebe Regensburg. Es entspricht der australischen Vorstellung, wie Europa aussieht. Es gibt hier keine Hochhäuser, nur einen Fluß in der Mitte, keinen Verkehr... Es ist wie eine mittelalterliche Stadt mit einer Steinbrücke und einer Kathedrale. Es ist sehr romantisch und friedlich hier.“ Auch in Brisbane muß es ruhig zugegangen sein. Denn „Warm Nights“ ist Balz und Betrachtung zugleich, gemächlich als Folk-Album mit rockigem Einschlag aufgenommen.

„What is a song?“ steht als Frage im Raum. „Als ich durch meine Heimatstadt ging, erinnerte mich eine Straßenkreuzung an eine Begegnung, an früher, als ich zum erstenmal eine bestimmte Frau wahrnahm. Ich erinnerte mich an die Farbe des Hemdes, das ich trug, und daß ich damals in einem schmalen Bett schlief, in das ich alleine hineinpaßte, niemand sonst. Es war ein sonniger Tag wie damals. Aus dieser Erinnerung entstand der Text zu ,On A Street Corner‘. Ich mag abgeschlossene Geschichten, kurze, knappe Betrachtungen.“ Und nachts zirpen die Grillen.

Als ob er seine Umwelt nach ihrer Geschichtentauglichkeit abscannt, erwähnt Robert Forster den adriatischen Badeort Cattolica südlich von Rimini: „Das Jahr beginnt dort am 27. Mai – und endet am 29. August. In dieser Zeit müssen die Menschen, die in diesen Städten leben, das Geld für das Jahr verdienen. Das prägt die Menschen. Nach der Saison bleibt der Blick auf das Meer, und die Jugendlichen fahren in die Industriestädte, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“

Ist also die ganze Welt, durch das Wort betrachtet und von der Dramaturgie des Versmaßes eingeklammert, nichts anderes als eine Stoffsammlung für die poetische Katalyse? „Einerseits. Aber ich liebe auch Witze, musikalische Witze. Ich mag ernstgemeinte Texte manchmal um so mehr, wenn sie von Musik eingefaßt sind, die sich den einen oder anderen Scherz erlaubt. Ich mag es, wenn Inhalt und Ausdruck auseinandergehen. So kam ich darauf, eine bayerische Blaskapelle ins Studio einzuladen. Ich habe da keine Vorurteile.“

„Warm Nights“ ist das vierte Album Robert Forsters seit der Trennung der Go-Betweens vor sechs Jahren, und der Titel des Albums trifft die Grundstimmung der zehn neuen Songs aufs beste. Im Vergleich mit dem Album „Danger In The Past“ oder „I Had A New York Girlfriend“, Forsters Sammlung von Musikstücken anderer Autoren, kommt die verheißungsvolle Nähe der neuen Stücke ohne morbide Untertöne und Unkonzentrationen aus. Fast will es scheinen, als ob Michael Ruff mit seiner Bemerkung in der letzten großformatigen Ausgabe der Spex 1986 über die Go-Betweens recht behalten sollte, zumindest, was die Suche nach Einsicht vor dem Verfassen von Song-Miniaturen anbelangt: Die Künstler der Zukunft würden „privat und undurchsichtig erscheinen. Sie werden aus dem Dorf kommen, nicht aus den Metropolen, wo die Menschen ihre Eigenheit verlieren, weil sie zuviel und zu schnell aufsaugen, verschmelzen, ausstoßen.“

Robert Forster nahm sich Zeit, Ruhe und Kleinstadt, um in aller Unspektakularität und zum erstenmal den übergroßen Schatten der Go-Betweens abzustreifen. Er mußte dafür noch nicht einmal seine Seele verkaufen. Maximilian Dax

Robert Forster: „Warm Nights“ (Rough Trade)