„Versöhnungskonferenz“: Startschuß für Repression

■ In Algerien führt der „Nationale Dialog“ zwischen Regierung und Opposition zu Verfassungsänderungen. Die Islamische Heilsfront (FIS) durfte nicht teilnehmen

Madrid (taz) – Der Nationale Dialog zwischen algerischer Regierung und legaler Opposition endete am Wochenende mit einer „Versöhnungskonferenz“. Staatspräsident Lamine Zeroual stellte vor rund tausend Teilnehmern eine Reihe von Verfassungsänderungen vor. Das Reformpaket soll bis zu den für Frühjahr 1997 vorgesehenen Parlaments- und Kommunalwahlen per Volksabstimmung bestätigt werden.

Was Präsident Zeroual als Bruch mit der Vergangenheit ankündigte, hat einen entscheidenden Schönheitsfehler: Zwar waren die gemäßigten islamischen Parteien Hamas und Ennahda sowie die ehemalige Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FNL) auf dem Treffen vertreten. Die wichtigste oppositionelle Kraft jedoch, die Islamische Heilsfront (FIS), war von den Beratungen ausgeschlossen. Die Front der Sozialistischen Kräfte (FFS) blieb aus Protest dagegen ebenfalls zu Hause.

Die zwischen Regierung und Restopposition abgestimmten Verfassungsänderungen sehen einschneidende Änderungen im Parteien- und Wahlgesetz vor. Künftig werden nur noch laizistisch ausgerichtete Parteien mit landesweitem Charakter zu Wahlen zugelassen werden. Diese Regelung richtet sich gegen Parteien wie die nationalistische Berberpartei, die mehr Rechte für die ein Viertel der Gesamtbevölkerung stellende Minderheit fordert, und gegen gemäßigte islamische Parteien wie Hamas oder Ennahda. Diese haben jetzt ein Jahr Zeit, um alle Anspielungen auf den Koran aus ihrem Parteiprogramm zu streichen und einen erneuten Zulassungsantrag zu stellen.

Das neue Wahlgesetz schafft das bisher gültige Mehrheitswahlrecht ab und führt das Verhältniswahlrecht ein. Mit dem alten Gesetz hatte die FIS bei den Wahlen vom Dezember 1991 mit nur doppelt soviel Stimmen wie die restlichen Parteien zehnmal soviel Sitze errungen. Das Militär putschte und setzte den für Januar 1992 vorgesehenen zweiten Wahlgang aus. Die FIS wurde verboten – das war der Startschuß für einen blutigen Krieg zwischen Armee und bewaffneten islamischen Gruppen, dem bis heute rund 50.000 Menschenleben zum Opfer fielen.

Präsident Zeroual macht mit der „Nationalen Versöhnungskonferenz“ endgültig die Lösungsvorschläge zunichte, die im Februar vergangenen Jahres in Rom von der „Plattform für eine friedliche und politische Lösung der algerischen Krise“ ausgearbeitetet wurden. Die sechs beteiligten Parteien – unter ihnen FLN, FIS und FFS – verlangten ausdrücklich eine Einbindung der Fundamentalisten in einen künftigen nationalen Einigungsprozeß. Präsident Zerouals Antwort war knapp und eindeutig: „Das Kapitel FIS ist ein für allemal abgeschlossen.“ Statt politischer Lösungen setzt seine Regierung seither auf noch mehr Repression. Die Zahl derer, die unter dem Vorwurf des Terrorismus verhaftet und gefoltert wurden, geht nach Angaben von einheimischen Menschenrechtsorganisationen in die Tausende.

Für den Vorsitzenden der FFS, Ait Ahmed, ist die Versöhnungskonferenz vom Wochenende „die Institutionalisierung der Diktatur“ und somit ein weiterer Versuch Zerouals, eine breite antiislamische Front zu schmieden. Reiner Wandler