Gott Schmidt uns Von Mathias Bröckers

Bei Wolfgang Neuss hieß er nur „Oberleutnant Schmidtler“: „Der ehemalige Bundeskanzler Schmidt sollte heute schon so unmöglich sein wie Henri Nannen, Kujau, Heidemann und ich; wir Volksbetrüger, Roßtäuscher und ruhmsüchtige ,Freier Westen‘-Retter dienen beim Reich (so hieß die Zeit, bevor sie Zeit hieß), geben Interviews in der Welt, wohnen am Brahmsee, nehmen in Greifswald einen Ehrendoktorhut mit und kassieren im Waldorf-Astoria 20.000 Dollar Vortragshonorar. In die Ecke, Nachrüstungsbesen, und nimm den Schmidtler mit! Ist heut' Montag? Sitzt doch Helmut Schmidt in Basel am Klavier und nimmt Mozart auf. Typisch Imperialist Schmidt. Will nicht nur alles gemacht haben, sondern auch alles mal gewesen sein – was er sich ja auch einbilden könnte am Brahmsee. Er könnte sich unter einen Busch setzen und sagen: ,He, Loki, haste mal 'ne ordentliche Pflanze da?‘ – ,Willste se trinken oder rauchen?‘ – Na, ich trink se mal lieber, und jetzt bilde ich mir ein... ich bin der Weltwirtschaftsgipfel selbst.‘“

Wäre Neuss noch Kolumnist der taz, wäre der Superheld vom Brahmsee diese Woche wieder dran: Die Grünen, so Schmidt in der Bild-Zeitung, haben „jahrelang über das Waldsterben lamentiert, aber der Wald ist nicht gestorben. Im Gegenteil: Er ist vital. In Deutschland gibt es derzeit genauso viele Baumarten wie zur Zeit von Jesus Christus.“ Fürwahr, ein echter Schmidtler, der natürlich nicht nur Weltwirtschafts-, Rüstungs-, Orgel- und Ordnungsexperte ist, sondern auch Weltwaldspezialist. Da mag der neueste Waldschadensbericht der Regierung die Lage als ernst beschreiben, weil 61 Prozent der Bäume sichtbar geschädigt sind, da mögen sich Ökologen über die globale Waldzerstörung den Mund fusselig reden – einen Schmidtler ficht das nicht an. Mal kurz aus dem Fenster gucken, sehen, daß die Bäume noch grün sind, und dann reichsparteitagsmäßig verkünden, der Wald sei so vital wie vor 2.000 Jahren – der Mann muß völlig durchgeknallt sein. Oder steht er etwa auf der payroll des Europäischen Forstinstituts (EFI), das vom europäischen Holzdealer Nr. 1, Finnland, gesponsert wird?

Das EFI hat unlängst laut verkündet, der Wald sei gesund und würde besser wachsen als je zuvor. Daß dieses tolle Wachstum nur an der maßlosen Überdüngung mit Stickstoff liegt, den Landwirtschaft, Industrie und Verkehr produzieren und sattes Grün da eher ein Alarmzeichen als eine Entwarnung bedeutet, erwähnen die EFI- Waldheinis nur im Kleingedruckten. Und der Vitalitätsexperte Schmidt gleich gar nicht. Wer schaltet der verbalen Dünnsäureverklappung des Altkanzlers einen Katalysator vor?

Die Pflanzenfreundin Loki sollte ihrem Zwerg Größenwahn vielleicht „Die sechste Auslöschung“ (von Richard Leaky & Roger Lewin) schenken, ein Buch über die dramatischen Folgen des Artensterbens. Der letzten großen Auslöschungskatastrophe auf diesem Planeten fielen unter anderem die Dinosaurier und mit ihnen jährlich etwa 30.000 Arten zum Opfer. Diese Aussterbensrate ist auch heute fast schon wieder erreicht, allerdings nicht aufgrund eines Meteoriteneinschlags, diesmal ist die Katastrophe ausschließlich hausgemacht. Und „Macher“ vom Schlage Schmidtler treiben sie voran.