Abschiedsgesten

■ Als die Sender noch den Mut zu sperrigen Stoffen hatten: Ein Buch erinnert an die besseren Zeiten des Fernsehfilms

Die späten siebziger Jahre waren so etwas wie das „goldene Zeitalter“ des Fernsehens. Die 68er- Generation hatte sich in den meisten Abteilungen der Funkhäuser durchgesetzt, und in den Redaktionen tobte politische Direktheit und experimentelle Lust. Für ein paar Jahre war das Fernsehen die ästhetische Werkstatt der Republik, der Neue Deutsche Film wurde im Grunde dort geboren.

In 18 Porträts geht der Fernsehpublizist Egon Netenjakob (unter anderem Herausgeber des „TV- Filmlexikons“) der Frage nach, „wie Fernseh-Dramaturgen Filme produzieren“. Obwohl die meisten der interviewten Dramaturgen in Lohn und Brot stehen, sind die Texte so etwas wie eine sentimentale Rückschau auf einen wenig beachteten Berufsstand. „Ach, käme es doch noch einmal so“, seufzt Netenjakob in einem der Texte, „wie schon in den 70er Jahren, als der – wesentlich von Fernsehdramaturgen inspirierte bzw. unterstützte – ,Neue Deutsche Film‘ ein internationaler Begriff war.“

In Gesprächen mit Eberhard Itzenplitz, Heinz Ungureit, Werner Swossil und anderen kommt so etwas wie eine kleine Geschichte des Fernsehspiels und seiner Produktionsbedingungen zum Vorschein, aber der Grundton der Gespräche ist der einer Abschiedsgeste. Die Durchsetzung des Privatfernsehens hat den schneidigen Idealen früherer Tage längst die Unschuld geraubt. So klagt man über die Unflexibilität in den Sendern und den fehlenden Mut, sich an sperrige Stoffe zu wagen. Jutta Boehe von Radio Bremen bringt den Widerspruch ihrer Branche resignativ auf den Punkt: „Wenn sie heute einen verlogenen Anpassungsprozeß vollziehen, kann ich mir nicht vorstellen, daß daraus noch ein identisches Programm entsteht. Also müßte man, wenn man schon die ARD unbedingt stromlinienförmig will, im Grunde die Redaktionen rausschmeißen.“

Die meisten Gespräche sind getragen vom deutlichen Widerwillen der Macher gegen die Programmanforderungen, die der Markt nun an sie zu stellen scheint. Doch auch die Jungen bei den Privaten altern recht schnell. Einer von ihnen, Michael Bülow (Jahrgang 1966), arbeitet bei RTL 2 und hat sein Handwerk in den USA gelernt. Er zeigte sich fasziniert vom „militärischen Funktionieren eines Filmteams“. Nun hegt er die Hoffnung, daß Qualität auch quotentauglich sein kann. Doch hier stellt sich umgehend der selbstgefällige Blick auf die wilden Jahre ein: „Dann produzierte Bernd Eichinger in New York ,Last Exit to Brooklyn‘. Das habe ich gehört, habe mir das Buch gekauft, war fasziniert und habe gedacht, da mußt du mitarbeiten.“ So geht's eben zu bei denen vom Film. Harry Nutt

Egon Netenjakob: „Im Nullmedium. Wie Fernseh-Dramaturgen Filme produzieren“. Katholisches Institut für Medieninformation, Köln 1996, 144 Seiten, 19,80 DM