Mediaparties im Sonnenschein der Zukunft

■ Durchgeklickt: Am Sonntag endete das European Media Art Fest in Osnabrück

Osnabrück, Perle im Osnabrücker Land. Die Ausfallstraßen sind ein bekanntes Trampergrab; ein Teil der Stadt bildet sozusagen das westdeutsche Äquivalent zu den ostdeutschen Plattenbausiedlungen, der Rest ist eine possierlich frischgeputzte Altstadt. Wie die Osnabrücker ihre Stadt finden, ist unklar. Während Ruth und Annette Lorenzen auf ihrem hübschen Klingelschild in der Gutenbergstraße bekanntgeben: „Hier leben gerne Ruth und Annette Lorenzen“, lassen die Graffitis in der Altstadt eher auf Unmut schließen: „Hate2“ heißt es kryptisch auf den Wänden des hiesigen „Hauses der Jugend“.

„Rotzeit zeitweilig verlängert“ steht auf einem Schild an einer Ampel am Heger Tor; „nur für Blinde“ steht auf dem Knopf der gleichen Ampel, die man auf dem Weg zur Zentrale des „European Media Art Festivals“ passiert. Sätze, die für den Besucher „Osnabrück“ bedeuten und die man gern anklicken würde, wenn sie auf dem Computerbildschirm erscheinen würden.

Früher ging es beim alljährlichen Osnabrücker Festival vor allem um Experimentalfilme. Da das Genre, das einstmals für innovatives Filmforschen stand, in der Flut der visuellen Kommunikation immer mehr zu verschwinden droht, nennt sich das Festival, das nach fünf turbulenten Tagen am Sonntag zu Ende ging, inzwischen zeitgemäß und ein bißchen beliebig „European Media Art Festival“. Neben Experimentalfilmen wurden diverse Performances, Installationen, Vorträge und Internetprojekte aus 33 Ländern präsentiert.

„Internet – das neue Medium, Sonnenschein unserer Zukunft“ heißt es irgendwo halbironisch auf der umfangreichen CD-ROM „OF(F) THE W.W.(WEB)“, die den Festivalkatalog „um verschiedene Projekte und Positionen zur Netzkultur“ ergänzte. Wo es um soviel „kreative Vereinnahmungen technischer Entwicklung“ und „experimentelle Entwürfe und ungewohnte Annäherungen“ geht, wie der „Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie“ in seinem Grußwort feststellte, ist die Kritik nicht fern. Zuweilen äußerte sie sich etwas fundamental, wie der renommierte amerikanische Computerwissenschaftler Professor Joseph Weizenbaum in seinem populär verwischten, bilderflutkritischen Vortrag es tat. Meist war sie längst Teil der mehr oder weniger experimentellen Filme.

Rückhaltlos technikbegeistert gaben sich jedenfalls nur die wenigsten Arbeiten. Gerade im deutschen Experimentalfilm gab es statt dessen einen auffälligen Trend zur Reduktion. Einige – wie der Fulderaner Kunststudent Christian Hossner, der für seinen „Pinhole Movie“ eine selbstgebastelte Camera obscura verwendete – griffen auf vergessene Techniken zurück; andere – wie die Braunschweiger Filmstudentin Anna Gollwitzer in ihrem Film „Leidenschaften“ – versuchten gegen die sehnsüchtige Rede vom Verschwinden des Körpers private Räume für tagebuchartige Fiction zurückzuerobern.

Daß es im Experimentalfilm zudem einen deutlichen Trend zur Verwendung von Schwarzfilm gibt, bestätigte auch Ralf Sausmikat von der Sichtungskommission. Auch das vielfach propagierte Ende von Schrift und Sprache fand in Osnabrück nicht statt. Vielleicht gab es statt dessen noch nie so viel Text, Wörter, Buchstaben, die sich allerdings, wie in der genialen Arbeit „Text Videovoid“ von David Larcher, im strukturellen Nichts, in einem melancholisch schönen Meer von Bildstörungen kalligraphisch verloren und wieder auftauchten. Ein bißchen erinnerte das an die minimalistischen CDs der elektronischen Milles-Plateaux-Musiker von OVAL.

Das dreißigminütige Video von Larcher war der Höhepunkt des Festivals. Der Film, „ein Gedicht aus dem reinen Nichts“, entzieht sich der Beschreibung, da er auf jede Art von Abbildungen verzichtete. Vielleicht ein Drogenfilm oder besser: ein Film, der wie eine glücklich machende Droge funktioniert. Eine Weile lang assoziiert man irgendwelche privaten Bilder, verliert sie wieder, vergißt sich und das Kino und freut sich nur noch wie ein Blöder, über die Bilder, die einem das Video schenkt. Besser kann man es nicht machen, denkt man, und daß der Film „Text Videovoid“ einen Endpunkt in der Videofilmkunst bildet.

Irgendwie findet das wohl auch Larcher, ein Beatnik, der seit den sechziger Jahren experimentell mit diversen Medien arbeitet, inzwischen in Köln als „profane professor“ angestellt ist und am liebsten als nächstes einen Hollywoodfilm machen würde. Mit viel Geld und Stars usw. Detlef Kuhlbrodt