„Entsexualisierter Homosexuellen-Verein“

■ Im katholischen Christentum wird die Sexualität von einer Junggesellenkaste tyrannisiert. Ein Gespräch mit der Theologin Uta Ranke-Heinemann über Jungfräulichkeitsmanie

taz: Ist das Christentum sexualfeindlicher als andere Religionen?

Uta Ranke-Heinemann: Auf jeden Fall. Im Islam wird die Sexualität der Frau vom Mann reglementiert, im katholischen Christentum wird die Sexualität der Männer und der Frauen von der Sexualfeindlichkeit einer Junggesellenkaste tyrannisiert. Der Islam ist sexistisch – auf deutsch: er vertritt die Vorherrschaft des Mannes über die Frau. Genau wie das Judentum. Und praktisch alle Kulturen in der Welt seit Adams Gedenken. Auch das Christentum ist sexistisch, aber das Katholische ist außerdem noch antisexuell.

In Ihrem Buch „Eunuchen für das Himmelreich“ schreiben Sie: „Moral im Christentum ist vor allem Sexualmoral“ und „Frauen waren für die Kirche eine moralische Gefahr“. Ist Unterdrückung der Sexualität im Christentum per se Unterdrückung des Weiblichen, der Frau?

Die Sexualfeindlichkeit trifft zwar besonders die Frauen, aber auch, vielleicht nicht ganz so, die Männer. Der Vatikan ist eine entsexualisierte Homosexuellen-Gesellschaft. Und da kommen die Heterosexuellen sowieso zu kurz. Sexualfeindlichkeit ist Frauenfeindlichkeit und Männerfeindlichkeit. Es ist Menschenfeindlichkeit. Was da jungen Männern, den Pubertierenden, für Höllenängste eingejagt wurden... Masturbation! Onanie!

Überlegen Sie nur. Natürlich ist die Frau der größere Sündenbock. Es trifft sie sowohl der Sexismus als auch die Sexualfeindlichkeit. Und der Sexismus ist natürlich zugunsten der Männer. Insofern ist die Frau immer die Dümmere. Da die ganze Theologie von Männern gemacht wurde, sahen die Theologen in ihrer Sexualfeindlichkeit natürlich die Frau als die Superobergefährdung ihres Daseins. Die Vorherrschaft der Männer macht eben, daß die Gefahr weiblich ist.

Warum ist die Sexualität der Kern christlicher Moral?

Das ist ein heidnisches Erbe. Der Einfluß der Gnosis. Auch die Antike kannte Sexualfeindlichkeit. Lediglich die katholische Kirche und besonders Johannes Paul II. wollen diesen sexualfeindlichen heidnischen Zopf noch bis ins dritte Jahrtausend hinein tragen.

Mit welchem Interesse?

Ich höre jeden Abend Radio Vatikan. Der Papst ist sozusagen mein theologisches Sandmännchen. Und ich bin jeden Abend aufs neue erstaunt, in welcher Geschwindigkeit er spätestens im dritten Satz von der Jungfrau spricht. Das katholische Christentum ist zur Religion der Jungfrau geworden. Ich stehe bei dieser Jungfräulichkeitsmanie des Papstes vor einem Phänomen, das ich nicht einordnen kann.

Ist dieser Jungfräulichkeitsmythos der katholischen Kirche überhaupt noch von gesellschaftlicher Bedeutung?

Beim Papst auf jeden Fall. Beim Papst ist es der Kern des Christentums. Es ist die lange Tradition eines unausrottbaren Irrtums. Der natürlich heute für die meisten keine Bedeutung mehr hat, aber der Papst ist doch immer noch irgendwie präsent. Oder nicht?

Ist unsere Kultur noch sexualfeindlich?

Natürlich nicht.

Spielt denn die Kirche keine Rolle mehr?

Ja, das kann man wohl sagen.

Und in unseren Köpfen?

Ich kenne auch noch eine ganze Reihe von Leuten, und zwar nicht nur ältere, sondern auch junge Leute, die fasziniert sind von dieser Jungfräulichkeitsmanie.

Ist im Christentum die „Kultur des Geschlechtsakts“ unterentwickelt?

Ja. Nur ein Beispiel: Ich studierte in Bonn und wollte das Buch von van der Velde „Die vollkommene Ehe“ lesen, weil es auf dem Index der verbotenen Bücher stand. Ich wollte wissen, warum. Dann ging schon das Theater los: Ich durfte als Studentin das Buch nicht ausleihen, sondern ich mußte sozusagen unter Aufsicht im Lesesaal lesen. Ich habe das Buch also dann im Lesesaal gelesen. Und immer wartete ich auf den großen Hammer. Warum, wollte ich wissen, steht es auf dem Index der verbotenen Bücher? Die einzige Abweichung von der kirchlichen Position, die ich fand, war eine Abweichung in den Positionen beim geschlechtlichen Akt. Nicht die Missionarsstellung, sondern zum Beispiel die Frau oben und der Mann unten. Deshalb kam das Buch auf den Index. Schon den ehelichen Verkehr – etwas anderes ist ja nicht erlaubt – frei zu gestalten ist für diese sexualfeindliche Hierarchie zuviel.

Gibt es denn im Islam eine „Kultur des Geschlechtsakts?“

Diese Verkrampfung bezüglich der Erforschung des ehelichen Akts besteht da nicht. Das gibt es in keiner anderen Religion.

Was müßte die katholische Kirche Ihrer Meinung nach an ihrer Sexualmoral ändern?

Ich würde sagen, nachdem die Kirche 2000 Jahre lang über Sexualmoral geredet hat, sollte sie die nächsten 2000 Jahre zu diesem Thema total schweigen. Interview: Edith Kresta