■ Buchtip
: Der Nubier

Der Titel klingt so vielversprechend wie „Der Azteke“ oder „Der Eskimo“. Ein weiterer Roman aus der bunten, historischen Welt der Völkerschaften also, gut genug für ein wenig Abwechslung in den kommenden kühlen Herbsttagen?

Das Epos des 1945 in Freetown/Sierra Leone geborenen Romanciers Syl Cheney-Coker hätte eine andere Schublade als die der Ethno-Abteilung verdient. In seinem ersten Roman, für den der Autor den African Commonwealth Writer's Prize erhielt, öffnet Cheney- Coker anhand des Anführers, der in einem Verlies auf seine Hinrichtung wartet, einen Blick auf mehrere hundert Jahre afrikanischer Geschichte.

Er geht zurück in die Jahre, als freigelassene Sklaven Amerikas, die auf seiten der Briten am Unabhängigkeitskrieg der USA teilnahmen, sich in ihrer alten Heimat an der Westküste Afrikas niederlassen, um ein menschenwürdiges Leben aufzubauen. Schnell zeigt sich, daß Jahrzehnte des „Zusammenlebens“ und des „kulturellen Austausches“ mit den Weißen Virginias die Rückkehrer verändert haben. Sie sind den Zurückgebliebenen fremd. Kulturbrüche und Differenzen sind zu überwinden. Die neue Gesellschaft der Siedler gerät nach einer fruchtbaren Zeit des Austausches mit Seeleuten, Piraten und Abenteurern schon bald unter die Kolonialisierung der Briten. Cheney-Coker schildert diesen Prozeß ebenso wie die darauf folgende Selbständigkeit und die Entwicklung zu einem menschenverachtenden Regime. Alles Entwicklungen, die der nubische Seher Alusine Dunbar schon 300 Jahre zuvor vorhersagte. Syl Cheney-Coker verwebt in seinem Roman altafrikanische Glaubensvorstellungen mit Elementen des Islams und des Christentums, zeigt, wie diese Geistesströmungen auf die Weltsicht der Protagonisten wirken und die neue Gesellschaft mitgestalten.

„Der Nubier“ ist gleichzeitig ein „Hohelied auf die Liebe – auch die körperliche Liebe – und die menschliche Schöpferkraft“. Ein Versprechen des Verlages, das eingehalten wird. Eberhard Seidel-Pielen

Syl Cheney-Coker: „Der Nubier“. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1996, 558 Seiten, 46 DM