Zivildienstleistende sind stolz auf ihre Arbeit

■ Seit 35 Jahren gibt es den „Ersatzdienst“, bewältigt haben ihn seitdem fast eine Million. Für die meisten ist er mehr als nur eine lästige Alternative zum Wehrdienst

Zur Zeit dienen 122.000 junge Männer im sogenannten Ersatzdienst. Bis heute haben insgesamt 932.000 den Kriegsdienst verweigert und statt dessen Dienst in Alten- und Pflegeheimen, in sozialen Einrichtungen, im Umweltschutz und anderen Institutionen verrichtet. Als „solidarisches Engagement“ lobte kürzlich Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Claudia Nolte anläßlich der Feierstunde zum 35jährigen Bestehen des Zivildienstes die Arbeit der Zivis. Was bewegt eigentlich junge Männer, statt Uniform und Gewehr etwa weiße Kittel und Putzlappen zu wählen?

Die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns und den Zivildienst als Sozialisations-, also Erziehungsinstanz hat der Sozialpädagoge Heinz Bartjes untersucht. Sein Ergebnis entspricht nicht dem gängigen Vorurteil, junge Männer hätten mit dieser Art von Tätigkeit nichts am Hut, flippten lieber auf Love Parades oder an Palmenstränden herum: Wer sich für den sozialen Dienst am Menschen entscheidet, tut das mit Sinn und Verstand, findet es in Ordnung und setzt sich deutlich und bewußt vom Militärdienst und den Soldaten ab – das ist ein Ergebnis seiner Arbeit.

Die Dissertation basiert auf empirischen Untersuchungen, gibt also hautnah Auskunft über die Befindlichkeit der Zivildienstleistenden (ZDL) und reflektiert auch umfassend die politischen und historischen Hintergründe der Verweigerung des Wehrdienstes.

Der Ersatzdienst hat vielerlei sozialisatorische Aspekte, also angemessenere Möglichkeiten zur Bewältigung der Lebensaufgaben als bei der Bundeswehr; zum Beispiel größere Flexibilität in bezug auf Orts-, Zeit- und Tätigkeitsfeldwahl sowie Sinnhaftigkeit der Tätigkeiten, wodurch sich das Subjekt angesprochen fühlt.

Als Zwischenstufe zwischen Elternhaus und unabhängigem (Berufs-)leben ist der Ersatzdienst auch eine Art Trennungshilfe von den Eltern und bietet einen Orientierungsrahmen für die Ausrichtung nach der Schulzeit sowie eine Art Lebensschule angesichts der menschlichen, gesundheitlichen und sozialen Probleme, denen sich die ZDL stellen müssen. Für andere ist diese Pflichtzeit eine Möglichkeit, Selbstbewußtsein zu finden, weil man für diese „Tat“, also die Entscheidung, Ersatzdienst zu leisten, bewundert wird. Und: „Im Zivildienst sind andere Formen von Männlichkeit lebbar als bei der Bundeswehr.“

Werden von den Ersatzdienstlern doch die Erfüllung von Aufgaben erwartet, die üblicherweise in Frauenberufen erledigt werden – Pflege und Sorge sind bis heute sogenannte typisch weibliche Tätigkeiten, weil sie angeblich auch der Gefühls- und Gedankenwelt von Frauen (Müttern) entsprechen.

Der Dienst scheint aber für viele ZDL eine sehr produktive Lebensphase zu sein. Kaum jemand der Befragten sah die Zeit beim Ersatzdienst als verloren an, weil sie diese „Warteschleife“ in ihrem Leben sinnvoll nutzen – oder nur sointerpretieren? Tatsächlich aber sehen sie auch konkrete Lernprozesse, die für ihren späteren Lebensweg nutzbar sein können. Stolz und Selbstbewußtsein erfüllt so manchen, der statt der Uniform den Kittel gewählt hat und statt auf Pappkameraden zu schießen, mit behinderten Kindern umzugehen gelernt hat.

Bartjes betont sehr deutlich, daß er mit diesem Ergebnis keineswegs einer Legitimation der Institution Zivildienst das Wort reden und erst recht keine Belobigung aussprechen wolle. Er erinnert vielmehr an die Entstehungsgeschichte des Ersatzdienstes als staatlich gewollte und mit entsprechenden politischen Mitteln verfolgte Linie der Ausnahmestellung der Kriegsdienstverweigerung, also eher als „lästige Alternative“, sowie an die „vielfältige Ausbeutung der ZDL und ihren häufig fahrlässigen Einbau in die Handlungsabläufe sozialer Arbeit“.

Nolte lobt in der erwähnten Rede, daß sich die Neuordnung für die Anerkennung des Kriegsdienstverweigerers aus Gewissensgründen bewährt habe. Mußten sie früher noch mit erheblichen Ausgrenzungen leben, „ist er inzwischen in die Gesellschaft integriert. Seine Gewissensentscheidung gegen den Dienst mit der Waffe und sein Zivildienst finden Akzeptanz. (...) Zivis gelten als freundliche Helfer, die dem Allgemeinwohl dienen.“

Solche Rationalisierungen passen ins politische Klima, wo man sich ungern mit einer gesellschaftlichen Gruppe anlegen möchte, sondern sie eher peu à peu assimiliert. Die Zivildienstleistenden ziehen ihrerseits ihren persönlichen Nutzen und Sinn daraus.

Bartjes Buch hat leider keinen knackigen Titel; der sollte aber nicht abschrecken: Es ist eine aufschlußreiche Lektüre über junge Männer in Deutschland. Leonore Wittke

Heinz Bartjes: „Der Zivildienst als Sozialisationsinstanz – Theoretische und empirische Annäherung“. Edition Soziale Arbeit im Juventa Verlag, Weinheim 1996, 205 Seiten, 29,80 DM