Prozeß gegen Safwan Eid eröffnet

Die Anklage geht davon aus, daß der gebürtige Libanese für die zehn Toten der Lübecker Brandnacht vom 18. Januar 1996 verantwortlich ist. Das Verfahren wird heute fortgesetzt  ■ Aus Lübeck Jan Feddersen

Richter Rolf Wilcken gilt in Kollegenkreisen als stets besonnener Mann. Er kann aber auch entschieden seine Position vertreten, selbst wenn er sie für dissident hält. Das war so, als er am 2. Juli dafür sorgte, daß Safwan Eid, angeklagt der Brandstiftung im Asylbewerberheim an der Lübecker Hafenstraße, aus der Untersuchungshaft entlassen werden konnte. Seit gestern sitzt der Richter nun dem Prozeß gegen den gebürtigen Libanesen vor.

Man merkt ihm schon an der lässigen Sitzhaltung an, daß er das Verfahren betont unspektakulär durchführen will. Wilcken scheint zu ignorieren, daß der erste Tag des Prozesses mit 20minütiger Verspätung beginnen muß, weil der Andrang von Medien und Zuhörern allzugroß ist. Trotzdem ist dies nur der Schein: Tatsächlich kommt die Lässigkeit des Richters nur als Vorsatz daher. Seine Nervosität, die offenbar daher rührt, daß er doch nicht gänzlich unbeeindruckt ist von den öffentlichen Erwartungen an dieses Strafverfahren, wird sichtbar, als er vergißt, Ahmed Elbasynuuny, den Dolmetscher für die nur arabisch sprechenden Prozeßbeteiligten, nach seinen persönlichen Daten zu fragen und ihn zu vereidigen.

Auch als er Marwan Eid, den Vater des angeklagten Safwan Eid, ganz allgemein zu seinen Sozialhilfeanträgen befragen will, ist er zu voreilig. Gabriele Heinecke, die Anwältin Eids, weist ihn knapp und scharf darauf hin, daß er, Wilcken, Vater Eid zuvor darüber belehren muß, womöglich sich selbst zu belasten und insofern die Aussage verweigern dürfe. Davon abgesehen führt der Vorsitzende Richter seinen Prozeß mit für die Zuhörer enervierender Gleichmut. Er räumt Safwan Eid eine Pause ein, als der über seine Anwältin Heinecke verlauten läßt, er sei noch zu aufgeregt, um auf Fragen des Gerichts antworten zu können. Selbst Beate Klarsfeld, eine der Initiatorinnen der Internationalen Unabhängigen Kommission zur Aufklärung der Lübecker Brandkatastrophe, gibt Wilcken gute Noten: „Sehr ruhig, keine Fangfragen, sehr gelassen.“

Auch auf den kleinen Zwischenfall kurz vor der Mittagspause reagiert das Gericht gütig. Ein Zuhörer im ersten Gerichtsrang bellt plötzlich „Freiheit für Safwan Eid! Schluß mit dem Schauprozeß! Die faschistischen Mörder sind noch frei!“ Der Mann möge den Gerichtssaal verlassen, ordnet Wilcken an, ohne sich auf die Tonlage des Zwischenrufers einzulassen.

Darüber hinaus brachte der erste Verhandlungstag vor dem Lübecker Landgericht nur wenig Neues: Hans-Jürgen Wolter, der erste Pflichtverteidiger Safwan Eids, legte vor der Verhandlung sein Mandat nieder. Er genoß schon länger nicht mehr das Vertrauen seines Mandanten. Statt dessen nahm auf der Verteidigerseite Barbara Klawitter Platz – eine vor allem in politischen Strafverfahren beschlagene Juristin aus Hannover. Die „Anregung“ der beiden Anwältinnen, die sie vor der Anklage der Staatsanwaltschaft zu Gehör brachten, beschied das Gericht allerdings abschlägig. Heinecke und Klawitter hatten gefordert, die „organisierte Beobachtung des Prozesses durch die Landespolizei“ zu unterbinden, da beide Vertreter möglicherweise auch als Zeugen im Verfahren in Betracht kämen. Wilcken sah dies nicht als gegeben an.

Die 100seitige Anklageschrift wurde nicht vollständig verlesen. Die beiden Staatsanwälte Michael Böckenhauer und Axel Bieler beließen es beim nackten Vorhalt, daß nach ihrer Meinung Safwan Eid für die zehn Toten und 38 Verletzten der Lübecker Brandnacht vom 18. Januar diesen Jahres verantwortlich sei. Danach wurde Marwan Eid als Zeuge vernommen – seine Aussagen litten deutlich an der aufgeregten, keineswegs klaren Übersetzung aus dem Arabischen. Zudem war er irritiert über die Freunde Eids, die allesamt jeden Übersetzungsfehler mit deutlichem Murren monierten.

Ein erster Streit zeichnet sich jedoch bereits jetzt ab: Ungeklärt ist nach wie vor – und Vater Eids Aussagen waren der Wahrheitsfindung in diesem Punkt nicht weiter dienlich –, ob der Angeklagte zum Tatzeitpunkt bereits das 21. Lebensjahr vollendet hatte. Die Recherchen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung kamen zu unterschiedlichen Befunden: Wichtig ist dies für den Fall einer Verurteilung, denn das Alter entscheidet darüber, ob Eid nach dem Jugend- oder dem Erwachsenenstrafrecht bestraft wird.

Morgen wird der Prozeß mit den Zeugenaussagen weiterer Familienmitglieder Eids fortgesetzt. Am kommenden Montag wird jener Sanitäter vernommen, auf dessen Aussage („Er hat mir gesagt: ,Wir waren's‘“) die Staatsanwaltschaft ihre Anklage stützt.