Rundgang durchs Sündenbabel

■ Betrüger, Alchimisten, Arsenmörderinnen: Beim Spaziergang "Kriminelles Berlin" besuchen HobbykriminologInnen historische Tatorte im Bezirk Mitte

Ob die Zehlendorfer Tunnelgangster die Idee für ihren ausgekochten Coup aus der Kriminalgeschichte der Hauptstadt schöpften? Bereits 1929 pirschten sich die Brüder Franz und Erich Sass unterirdisch an die Safes von begüterten Bankkunden heran. In einer kalten Januarnacht erbeutete das Duo Devisen im Wert von angeblich 150.000 Reichsmark. Wieviel der wahre Inhalt der ausgeräumten 181 Kundentresore ausmachte, konnte freilich schon damals nicht genau ermittelt werden.

Historische Raubzüge, skurrile Bauernfängereien oder die düsteren Hintergründe des letzten Hexenprozesses von 1728: Während eines anderthalbstündigen Spazierganges durch den Bezirk Mitte gewährt Andrea Sybille Pittke vom „Kulturbüro Berlin“ interessierten HobbykriminologInnen Einblicke in die Kriminalgeschichte vom Mittelalter bis zur Nachkriegszeit. Der historische Streifzug beginnt an den Ruinen der Klosterkirche, einst Sitz eines Franziskanerklosters.

In diesen vormals ehrwürdigen Räumen versuchte sich im 16. Jahrhundert ein gewisser Leonhard Thurneißer in der Prozedur des „Herausdestillierens von Gold aus dem grünfärbigen Spreewasser“. Sein Patron, der Kurfürst Joachim II., ließ dort eigens für den „Herrn Alchimist“ ein Laboratorium einrichten. Nur ließ das erhoffte Gold leider auf sich warten. Als der Kurfürst allmählich unruhig wurde, machte sich der alchemistische Goldmacher schlicht aus dem Staub.

Josef Franke wählte 1945 den umgekehrten Weg: Er begab sich absichtlich in die Öffentlichkeit. 14mal vor Gericht gestanden und durch das Kriegsende von seinem Gefängnisaufenthalt befreit, erschlich er in den Wirren dieser Zeit eine Bescheinigung, die ihn als ehemaligen Rechtsanwalt auswies.

Als „Verfolgter des Faschismus“ stieg der Berufsschwindler in den Richterstand auf und fällte bis 1950 rund 7.000 Schnellgerichtsurteile gegen Schwarzmarkthändler. Schauplatz seiner Taten war das damalige Landgericht in unmittelbarer Nähe der Klosterstraße. Einzig die Liebe zu einer Schwarzmarkthändlerin brachte Franke zu Fall. Entgegen anderslautenden Entscheidungen des Landgerichts ließ er die Frau auf freien Fuß setzen und stellte ihr nach. Nachdem sie Franke angezeigt hatte, wurde er im Zuchthaus Treptow inhaftiert, wo er 1951 an einer Lungenentzündung starb.

Ein Schwerpunkt des kriminologischen Rundgangs liegt im 18. Jahrhundert. So führt der Weg zum sogenannten „Galgenhaus“ in der Brüderstraße. Um das Jahr 1724 hatte man auf dem Dachboden ein erhängtes Dienstmädchen gefunden. Ob es Mord oder Selbstmord war, und welche Rolle der Berliner Scharfrichter in der dunklen Geschichte spielte, konnte niemals geklärt werden.

Die SpaziergängerInnen gelangen auch an den Tatort der Giftmörderin Charlotte Ursinus (1740–1836) in der Poststraße. Warum die Frau Obergerichtsrätin trotz dreimaliger Arsenmorde „wegen Schwachheit des Geistes“ nicht hingerichtet wurde – und welche bekannte US-Hamburgerkette heute in besagtem Gebäude Speis und Trank anbietet, können kriminalhistorisch Interessierte am kommenden Sonntag in Erfahrung bringen. Sabine Beikler

Spaziergang „Kriminelles Berlin“, Sonntag, 22. 9., 11 Uhr am Ausgang U-Bahnhof Klosterstraße