Was Ambach ist

„Die Sache mit Randow“, Klaus Schlesingers Roman über den Tod eines Ganoven, wendet den Blick zurück in das Berlin der Nachkriegszeit  ■ Von Peter Walther

Berlin-Prenzlauer Berg im Sommer 1951: Vor dem Haus Dunckerstraße Nr. 5 hat sich eine Menschenmenge angesammelt, Polizei steht an allen Ecken. Irgendwo auf den Dächern hält sich der Schwerverbrecher Randow versteckt. Fast 40 Jahre später hat der Pressefotograf Thomale, der die Szene als Kind beobachtete, den Namen Randow schon fast vergessen. Allerorten brodelt es, das Ende des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden kündigt sich an. Nach Jahrzehnten des Stillstands beginnt der dünne Anstrich zu blättern, mit dem die Geschichte des Landes übertüncht gewesen war. Wer war dieser Randow, daß er so viele Jahre nach seinem gewaltsamen Ende wieder wichtig wird? Warum die anonymen Anrufe, das Geraune in der Kneipe und das merkwürdige Interesse des Chefredakteurs an dieser Geschichte?

Klaus Schlesinger schlägt in seinem neuen Roman „Die Sache mit Randow“ den Bogen von der frühen Nachkriegszeit zur Zeitenwende von 1989. Schauplatz seiner Geschichte ist das proletarische Milieu der „Vorderduncker“, jenes Teils der Straße, in der der Fotograf Thomale als Kind jeden Mieter und jeden Hund kannte, jedes Geschäft und jede Kneipe. Es ist derselbe Stadtbezirk, in dem auch Schlesinger aufgewachsen ist.

Die Gleichaltrigen ziehen in der Truppe umher, stöbern in den Ruinen, lauern in den Fluren und kommentieren jede Veränderung in ihrer kleinen Welt. Der Krieg, in dem die meisten Jungen ihre Väter verloren haben, ist gerade sechs Jahre zu Ende. Schlesingers Held wächst in einer Zeit heran, in der die große Politik in den Alltag hineinreicht: Hauswart Landberg von gegenüber, einst strammer Nazi, hat sich zum Kommunisten gemausert. Kaum zehn Minuten Fußweg entfernt beginnt der französische Sektor, wo die Parolen des sozialistischen Aufbaus ebenso wertlos sind wie das Geld aus dem Osten. Es gibt Kneipen und S-Bahnhöfe, die zur einen Seite in den Osten, zur andern in den Westen führen. Der tägliche Umtauschsatz der beiden Währungen gehört zu den Nachrichten wie andernorts die Wasserstandsmeldung.

In dieser Zeit blüht in Berlin nicht nur das Spionagegeschäft, sondern auch allerhand Kleinkriminalität. Jeder versucht, das Beste aus der politischen und wirtschaftlichen Spaltung der Stadt herauszuholen. Schlesingers Held bessert sein Lehrgeld auf, indem er die im Osten produzierten Ferngläsern en gros in den Westen schmuggelt. Seine Schwester wird erwischt und muß, als die Vorladung eintrifft, die Koffer packen. Manche schaffen es, in kurzer Zeit mehrmals die Fronten zu wechseln, werden als Wiederkehrer willkommen geheißen und großzügig mit Wohnraum bedacht, um bei der nächsten Gelegenheit aus guten Gründen wieder ins Auffanglager zu flüchten. Günter, der ältere Kumpel, führt die Truppe in das Geschäft mit den DP ein, den Displaced Persons. Er besitzt ein Auto mit zwei Nummernschildern – einem Ost- und einem West-Berliner Kennzeichen. In der linken Hosentasche verwahrt er das Ostgeld, in der rechten das Westgeld.

Ein Zeitgenosse ähnlichen Kalibers ist Randow, den alle nur als Ambach kennen: „Ambach haben wir ihn genannt, weil er bedeutende Aussagen wie ,Kino ist alles Theater. Selbst ist der Mann!‘ mit dem Wort ,Ambach‘ beschließt, was soviel heißt wie ,So ist es!‘“ Randow ist einer von vielen, die ihren Unterhalt mit dunklen Geschäften verdienen. Das eine Mal ist er allerdings zu weit gegangen: Um seine Kunden im Westen mit Waffen zu versorgen, überfällt er ein Kommando der Kasernierten Volkspolizei. Deswegen jagen ihn die Bullen in der „Vorderduncker“, und Thomale steht in der Menge und wälzt Rettungspläne.

Mit dieser Momentaufnahme beginnt der Roman Schlesingers, und im Laufe des Buches kehrt er immer wieder dorthin zurück, zur gaffenden Menge und der Ratlosigkeit der Jungen. Im Laufe des Romans weitet sich dieses Standbild zum historischen Panorama der Nachkriegszeit in Berlin. Randow wird gefaßt und zum Tode verurteilt. Die Zeitungen berichten vom Prozeß. Wer hat sein Versteck verraten? Was hat es mit dem schlechten Gewissen der Nachwelt auf sich?

Schlesinger durchbricht in seinem Roman die lineare Chronologie der Erzählung und tastet sich auf Umwegen an seine Geschichte heran. Der Erzählvorgang des Einkreisens entspricht dem erzählten Vorgang – der Jagd auf Randow. Die Literaturhistoriker werden es schwer haben, eine geeignete Schublade für dieses Buch zu finden: Ist es ein historischer Milieuroman, ein autobiographisches Buch oder gar ein Krimi? Wir können es uns einfacher machen und behaupten, von allem sei etwas darin. Vor allem aber ist Schlesinger ein lesenswertes und streckenweise spannendes Buch gelungen. Wenn sich zum Schluß das Unbehagen Thomales an der weit zurückliegenden „Sache mit Randow“ aufklärt, erscheint das bisher Gelesene in einem anderen Licht. Spätestens hier wird klar, daß „Die Sache mit Randow“ nicht nur ein Roman über die Nachkriegszeit ist, sondern ein Buch, das für die Gegenwart geschrieben wurde.

Klaus Schlesinger: „Die Sache mit Randow“. Roman. Aufbau-Verlag 1996, 318 Seiten, 39,90 DM