Wühltisch
: Von der Bildfläche

■ Wie die Fernsehtruhe zur gestalteten Mediensäule wurde

Die wunderbaren Stücke der Augsburger Puppenkiste mit ihren Helden Lukas, Jim Knopf, Bill Bo und Co gewährten Einblicke in ihre Welt immer mit einer feierlichen Enthüllungszeremonie. Eine Kiste ging auf und zeigte eine Bühne, deren Vorhang aufgezogen werden mußte. Dann erst konnte die Blechbüchsenarmee ihren Feinden entgegenrollen. Das entsprach in etwa der Möblierungsform, die den meisten Televisionsapparaten jener Jahre zugedacht war. Das Gerät, dem man wegen seiner Strahlen nach Möglichkeit nicht zu nahe kommen sollte, befand sich in einer Truhe, und nach der Empfangszeit war es ein leichtes, die Klappe einfach wieder vorzuschieben. Nach der Kinderstunde wurde die Glotze dem Blickfeld entzogen, auch wenn wir Kinder immer genau wußten, wo sie war.

Dr. Adenauer besaß darüber hinaus ein Kombigerät, bestehend aus Radio, Plattenwechsler und Tonbandapparatur, das er mit einer leichten Schubbewegung in eine Konsole bugsieren konnte. Ein Foto zeigt ihn darauf stierend, die Hand stützend an der Schläfe. Der Kanzler machte sich statt Abendbrot Gedanken. Doch auf Befehl war die Sache vom Tisch. Das Nomadische, in dem sich die Bild- und Tonmöbel der fünfziger Jahre präsentierten, symbolisierte weniger die Bereitschaft zu schneller Flucht als vielmehr eine gewisse Orientierungsunsicherheit in der jungen Wirtschaftswunderzeit. Man traute sich nicht, den Fernseher einfach Fernseher sein zu lassen. Der Dämon drohte, jederzeit aus der schmucklosen „Kiste“ hervorzuspringen.

Wie einen mächtigen Raumaltar erblickt man in unseren Tagen den BeoVision Avant von Bang & Olufsen, das erste integrierte 16:9-Multiformat- und Videosystem. Verbarg die Truhe seinerzeit das Gerät, so ragt der BeoVision Avant als zauberhafte Säule in den Raum hinein. Die Gestaltung hat die Funktion überflügelt. Die Bildfläche ist von provozierender Nacktheit, doch so richtig zur Geltung scheint der BeoVision Avant nur in abgeschalteter Form zu kommen. Hinter der Leere des Bildschirms schlummert die dunkle Ahnung, daß die Ausstrahlung des Bildes längst überflüssig geworden ist. Man wagt es nicht, den BeoVision Avant mit einer profanen Sitzgruppe und Beistelltischchen zu konfrontieren. Gästen erlaubt man den ästhetischen Genuß am besten stehend.

Nichts deutet darauf hin, daß dem Turmensemble durch die Mühsal der Handarbeit noch eine Einschaltbewegung widerfahren müßte. Alles Technische ist im Integralsystem verborgen. Daraus schickt Gott dynamische Randabgleichung, Signalrauschfilterung und Feinabstimmung. Das Ganze ist auch mit Dolby-Surroundsound-Option zu haben, eine Art Klangspendevorrichtung für alle Ritzen des Raumes. Waren die Fünfziger-Jahre-Truhen verbiederte Puppenhausmöbel, so geriert sich die dänische Flachästhetik als ein Rauschmittel der Nüchternheit. Klare Linien, glatte Flächen und Kontrastfilterscheibe aus getöntem Glas. Alle Innenarchitektur geht vom Fernseher aus. Ein BeoVision Avant steht auf abgezogenem Parkettfußboden. Reichlich Spekulation mag noch darauf verwandt werden, wohin unsere schöne neue Medienwelt tendieren wird. Dabei ist die Sache einrichtungstechnisch längst entschieden. Aus dem Hausgast, der unsicher in der Ecke steht, ist ein sakrales Prunkmöbel geworden. Harry Nutt