„Ich halte den Wahlprozeß für einen Erfolg“

■ Interview mit Michael Steiner, Stellvertreter von Carl Bildt, dem internationalen Beauftragten für den Wiederaufbau Bosniens, über die Perspektiven nach den Wahlen

taz: Die OSZE scheint auf Teufel komm raus die Wahlen zu einem Erfolg machen zu wollen und unterschlägt dabei die ganzen Unregelmäßigkeiten.

Michael Steiner: Unregelmäßigkeiten mag es gegeben haben, und die werden auch untersucht werden. Aber ich halte den Wahlprozeß trotzdem für einen großen Erfolg. Die Wahlen hatten ja ihre äußeren Abläufe, immerhin sind 20.000, nicht 13.000 Menschen über die Interentitätsgrenze gewechselt. Das ist ein Beginn. Auch zu größeren Zwischenfällen ist es nicht gekommen. Zudem ist die Wahl selbst nur ein Teil des Wahlprozesses. Jetzt erleben wir die Auszählung und die Prüfung der Beschwerden. Erst wenn dieser Prozeß abgeschlossen ist, kann eine abschließende Wertung erfolgen.

Es herrscht die Meinung vor, in Washington wolle man auf jeden Fall einen Erfolg.

Emotionen nützen nichts. Wir müssen die rationalen und objektiven Gesichtspunkte betrachten. Ein Jahr nach Beendigung des Krieges brauchte man noch die internationalen Truppen der Ifor und auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit. Beide Organisationen haben mit Erfolg den Rahmen für die Wahlen geschaffen. Das ist schon bemerkenswert. Zweitens haben wir eine Verfassung für Bosnien-Herzegowina, die aber noch nicht in Kraft ist. Mit den Wahlen kann diese Verfassung umgesetzt werden, weil wir dann gewählte Führungen haben. Was wir bis jetzt haben, sind Regierungen, die sich nicht verantwortlich zu fühlen brauchen. Es herrschte ein politisches Vakuum. Wenn das so weiterginge, wären die trennenden Kräfte stärker als die verbindenden. Wir wollen jedoch die Integration Bosniens.

Wie kann man dieses Vakuum ausfüllen?

Man könnte eine internationale Administration für das gesamte Land in Betracht ziehen, eine Art Protektorat. Dies ist jedoch unter den gegebenen Umständen nicht durchsetzbar. Die internationale Gemeinschaft lüde sich zuviel Verantwortung auf. Also gibt es keine Alternative zu dem Prozeß von innen heraus, um friedliche und integrierende Perspektiven zu entwickeln. Da schreiben Sie, vermutlich zu Recht, daß zunächst diejenigen legitimiert werden, die das Land in den Krieg geführt haben. Wir erwarten dabei auch etwas anderes: Sogar im Parlament der Republika Srpska wird es nichtserbische Abgeordnete und auch eine serbische Opposition geben. Es deutet sich an, daß die Opposition nicht so schlecht abschneiden wird. Und drittens wird es Strukturen geben, die das ganze Land umfassen.

Die internationalen Truppen sollen also bleiben. Und auch die internationale Administration?

In den nächsten beiden Jahren werden beide Komponenten vertreten sein. Was wir anstreben, ist nicht ein Protektorat, wohl aber eine internationale Struktur, die stärker regulierend in die Geschehnisse eingreifen kann. Die Wahlen sind Teil eines Prozesses, der auf die Zukunft gerichtet ist. Die Alternative, nicht zu wählen, bedeutete den Stillstand dieses Prozesses. Interview: Erich Rathfelder