Das Unrecht der Stärkeren

■ Arbeitgeber bedienen sich bei ihren Beschäftigten

Die Klage über die Innovationsfeindlichkeit deutscher Unternehmer ist verfehlt. Soziale Innovation ist nicht das Problem des Standorts Deutschland. Die Chefs in der Metallbranche haben gezeigt, wie lernfähig sie sind. Schnell wird gehandelt, jetzt, wo sie ihrem Personal in die Tasche greifen können. Die von den Metallarbeitgebern avisierte Kündigung existierender Tarifverträge fügt sich nahtlos in die neue Philosophie der deutschen Unternehmer ein. Es zählt das eigene Gehalt und der Wert der Firmenaktien; der Betriebsfrieden gilt ökonomisch nichts. Rechtswidrige Lohnkürzungen im Krankheitsfall, wie sie Gesamtmetall als Teil der eigenen Strategie vorschlägt, sind nur ein Ausdruck dieser neuen Unternehmerhaltung. Nur noch die Kassenlage interessiert, nicht mehr die soziale Lage: Es lebe der frische Wind des Marktes!

Ein Lamento über diesen Sinneswandel der Unternehmer ist unangebracht. Die Chefs haben den Griff in fremde Taschen lange genug angekündigt. Und die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie den Vorstandsvorsitzenden dabei zur Hand gehen würde. Auch darüber darf man sich nicht beklagen: Jedes Land hat die Regierenden, die es verdient.

Es lohnt also nicht, über die Moral der neuen Managerkaste zu räsonieren. Vielleicht aber lohnt ein zweites Nachdenken über die Konsequenzen. Es hat Zeiten gegeben, da waren deutsche Arbeitgeber froh, daß an ihren Bändern brave, strebsame Arbeitnehmer standen, die weder nach der Revolution riefen wie in Italien noch die Produktion sabotierten wie in den USA. Die Stahlmutter, die kurz vor dem ersten Start im Motorblock eines brandneuen Mercedes verloren ging, so was hat es in Deutschland kaum gegeben.

Vor solchen Entwicklungen müssen sich die Unternehmer auch heute nicht ängstigen. Sie vertrauen darauf, daß in diesem Land wie ehedem das Buckeln nach oben und der Tritt nach unten den sozialen Konsens ersetzen. Das Gegenteil muß erst bewiesen werden, die Verrohung der Sitten kann bei den Managern selbst wieder ankommen. Drastischer: Müssen erst Bosse auf dem Weg vom Weinlokal nach Hause eins auf die Fresse bekommen, damit sie spüren, was das Recht des Stärkeren praktisch bedeutet? Hermann-Josef Tenhagen

Bericht und Interview Seite 3