Brechmittel-Polizisten nicht volksverhetzt

■ Landgericht kassiert Urteil gegen Mitarbeiter im Anti-Rassismus-Büro

Der Geldbeutel von Matthias B. bleibt gerichtlich ungeschröpft. Gestern kassierte das Bremer Landgericht ein Urteil des Amtsgericht gegen den Mitarbeiter des Bremer Anti-Rassismus-Büros (Arab). Der war im März dieses Jahres zu 750 Mark Geldstrafe wegen „Volksverhetzung“ verurteilt worden – zu unrecht, wie jetzt festgestellt wurde. Hintergrund der damaligen Verurteilung war eine Broschüre des Arab über die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln an mutmaßliche Dealer, denen die Polizei vorgeworfen hatte, sie hätten ihre Ware verschluckt. Das Arab hatte seine Rechercheergebnisse zu dem Fall drastisch aufbereitet: „Sonderbehandlungen im Fließbandverfahren“ habe die Polizei durchgeführt. Die Maßnahmen hätten sich vor allem gegen Schwarze gerichtet, das sei „rassistische Polizeiarbeit“. Es bestehe eine „Systematik von rassistischer Gewalt und Körperverletzung durch die Polizei“. Und dieser „Rassismus in Polizei und Sicherheitsapparat wird im Land der Pogrome geleugnet“. Scharf formuliert, meinte nun auch das Landgericht, aber „kein Angriff auf die Menschenwürde“ der Bremer PolizistInnen – und sprach Matthias B. frei.

Vorausgegangen war ein Prozeß, in dem die Fakten, die hinter der ersten Anklage gestanden hatten, schnell geklärt waren. B. hatte an einer Podiumsdiskussion zum Thema Brechmittelvergabe im Bremer Landgericht teilgenommen. Die war von den „Richtern und Staatsanwälten in der ÖTV“ organisiert worden. Nach der Veranstaltung hatte B. auf die Arab-Broschüre hingewiesen, und daraufhin hatte ihm eine anwesende Staatsanwältin eine Anzeige von Amts wegen angehängt. Tatvorwurf: Er vertreibe einen volksverhetzenden Text. Und so hatte es auch der Amtsrichter gesehen. Zwei weitere Arab-Aktivisten warten wegen derselben Sache ebenfalls auf ihren Prozeß, die Broschüre wurde bei diversen Hausdurchsuchungen beschlagnahmt.

Nun wird die Polizei die Schriften wohl wieder rausrücken müssen. „Sonderbehandlung“ und „Rassismus“ seien Begriffe, die in den unterschiedlichsten Kontexten immer wieder in der Öffentlichkeit verwendet würden, ohne daß es gleich zu Anklagen und Prozessen käme, hatte B. in einem langen Statement argumentiert. Er fühle sich in einem politischen Prozeß. Außerdem sei es absurd, daß die Staatsanwaltschaft aufgrund der Recherchen des Arab gegen Polizisten und den verantwortlichen Polizeiarzt ermittle und gleichzeitig Arab-Mitglieder wegen derselben Recherchen verurteilt würden. So ganz konnte der Staatsanwalt die Argumentation nicht entkräften. Ohnehin machte er in seinem Plädoyer „ganz privat“ deutlich, daß die Arbeit der Polizei kritisch begleitet würde. Aber dienstlich meinte er: „Die Grenze der Wortwahl ist überschritten“. Das könnte tatsächlich sein, fand auch der Richter in der Urteilsbegründung. Aber damit sei noch nicht der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt: „Der ist sehr eng auszulegen“, und zwar für den Schutz von Minderheiten gegen Äußerungen, die ihnen das Lebensrecht absprechen. Wie das Gesetz gemeint sei, das zeigten schon die Beispiele, die in der Literatur genannt würden: „Juden sind Untermenschen“. Daher sei B. freizusprechen, „auch wenn es den Strafverfolgungsbehörden und Teilen der Öffentlichkeit nicht paßt“. Möglicherweise würde der Justiz vorgeworfen, daß sie zu lasch sei. „Aber war es dagegen wichtiger, als rechtsstaatliche Justiz dazustehen?“ J.G.