Prädikat: Besonders Buck

■ Regisseur François Rossier dreht in den ruinösen Kulissen Berlins den Märchenfilm „Skazda“. Stars sind auch dabei.

Das ganze Team lauscht angestrengt auf die Geräusche, die von der Straße ins Café Asbest dringen. „Okay, den Laster lassen wir noch vorbeifahren“, verkündet Regisseur François Rossier. Stille Augenblicke sind selten an der Lehrter Straße. Rund um den Drehort wird kräftig gebaut und saniert, schwere LKWs fahren den ganzen Tag hin und her. Es dröhnt und wackelt noch einmal kräftig, dann kommt endlich das Signal vom Toningenieur. „All right, quiet now.“ Die nächste Einstellung kann gedreht werden: „Skazda – fünfzehn fünf, die erste.“

„Skazda“ ist ein Kurzfilm. Als Vorlage dient eine Erzählung von Vladimir Nabokov aus dem Jahr 1926. Benjamin, ein französischer Student, kommt in die Hauptstadt. Er ist schüchtern und wirft den Frauen in den Cafés und auf der Straße nur verstohlene Blicke zu. Eines Abends erscheint Benjamin der Teufel in Gestalt einer alten Dame und bietet die Erfüllung einer Männerphantasie an: Er könne sich in den nächsten 24 Stunden den Harem seiner Träume zusammenstellen. Einzige Bedingung: Die Anzahl der Frauen muß ungerade sein. Benjamin begibt sich auf die Suche. Nur eine der Frauen, die er auswählt, liebt er wirklich – Sophie, eine Kellnerin. Trotzdem kann der einst ängstliche Benjamin nicht genug bekommen und sucht sich eine Frau nach der nächsten aus. Eine fröhliche Objektwahl- Orgie, die am Schluß in bittere Tragik umschlägt.

François Rossier, der Regisseur, ist 35 Jahre alt und lebt in der Schweiz. An Nabakovs Geschichte reizt ihn die Veränderung von Sinneswahrnehmungen: „In ,Skazda‘ geht es darum, wie unsere Gefühle, unsere Wünsche und unsere Ängste die Wahrnehmung der Wirklichkeit steuern. Während er Frauen auswählt, beginnt Benjamin auf kleine Zeichen und Symbole zu achten – er deutet die Wirklichkeit nach seinen eigenen Wünschen um.“

Im Film werden Kameraführung und Ton diese Zeichen hervorheben: Wenn Benjamin sich in der Straßenbahn für eine Frau interessiert, die sich aufreizend am Fuß kratzt, verkleinert die Kamera ein wenig den Bildausschnitt, und das Geräusch, das beim Berühren der Strümpfe entsteht, tritt aus dem Verkehrslärm hervor. Regisseur Rossier legt Wert auf die filmische Zeichensprache, weniger auf die Dialoge.

Bei dem Krach, der durch die Fenster in das Café an der Lehrter Straße hineindringt, kann man sich weder subtile Semiotik noch einen Dialog vorstellen. Doch die Kulisse stimmt. „Skazda“ ist das russische Wort für „Märchen“, und Rossier möchte für seinen Film eine zeitlose, leicht verzauberte Atmosphäre, wie man sie aus einer Märchenerzählung kennt. Das Café Asbest, der einzige Drehort außerhalb von Mitte, ist mit seinen unsauber verklinkerten Wänden und ohne Zugeständnisse an den Zeitgeist der ideale Ort für die tragisch-gierige Liebeswahl Benjamins. Irgendwie ist es auch ein bißchen häßlich hier.

Dorian Rossel, ebenfalls ein junger Schweizer, spielt Benjamin. Er wirkt schüchtern, genau der Typ, der in Lokalen über ein Buch gebeugt die vorübergehenden Mädchen betrachtet. Ein bißchen verloren sitzt Rossel in einer Drehpause im Café neben seiner bildhübschen Filmpartnerin Sabine Hagenbüchle. Die Darstellerin der Sophie dolmetscht für ihn. Mit leiser Stimme erzählt er auf französisch, daß er sich in Berlin wie der Gaststudent Benjamin fühle: fremd, aber begierig auf Neues. Sein Blick wird aufmerksam, wenn er redet. Diesem Schauspieler traut man ohne weiteres zu, die richtige Mischung aus Melancholie und Lebenshunger in die ruinösen Kulissen von Berlins Mitte zu bringen.

„Skazda“ ist eine deutsch- schweizerische Gemeinschaftsproduktion. In Berlin ist die „zero film“, die unter anderem an Hal Hartleys „Flirt“ mitgearbeitet hat, zuständig. Obwohl die Produktionskosten unter 100.000 Mark liegen sollen, wird Rossiers Kurzfilm mit relativ großem Aufwand gedreht: Neben Nachwuchsschauspielern aus der Schweiz und aus Deutschland sind nicht ganz billige Profis wie Kathrin Angerer aus dem Volksbühnen-Ensemble dabei.

Der bekannteste Name auf der Besetzungsliste dürfte Detlev Buck sein, der die Rolle eines Fahrlehrers übernommen hat – mit Kathrin Angerer als Schülerin. „Buck gefiel die Geschichte sehr. Er hat sofort zugesagt“, erzählt Herstellungsleiter Roland Schmidt, der früher schon einmal mit dem Regisseur von „Männerpension“ und „Wir können auch anders“ zusammengearbeitet hat.

Wer sich über die Starbesetzung für einen Kurzfilm wundert, muß sich von François Rossier belehren lassen. Der Regisseur ärgert sich über die Geringschätzung, mit der Kurzfilme in Deutschland behandelt werden, und verweist auf Frankreich, Belgien und die Schweiz: Dort ist es keine Seltenheit, daß Kinos die kurzen Werke in Dreierpacks als abendfüllendes Programm zeigen. Freundlich, aber bestimmt sieht Rossier sein Gegenüber an: „Ich gehöre nicht zu den Regisseuren, die unbedingt lange Spielfilme machen müssen. Jede Geschichte hat ihre Länge – ,Skazda‘ braucht eben eine halbe Stunde. Warum sollte man so einen Stoff also aufbauschen?“

Roland Schmidt kann sich für die „zero film“ freuen, daß „Yilditz“, der deutsche Spezialverleih für Kurzfilme, für das Projekt gewonnen wurde – damit steigen die Chancen, „Skazda“ auch außerhalb der einschlägigen Festivals zu sehen. Und ein Name, der inzwischen schon fast als Gütesiegel gilt, wird auf den Presse-Infos sicherlich nicht gerade klein geschrieben werden: Buck. Kolja Mensing