■ Daumenkino
: Die Überlebenden

Der neue Film von Andres Veiel ist eigentlich ein alter. Bevor der in Berlin lebende Filmemacher seinen später preisgekrönten Film „Balagan“ drehte, hatte er lange Zeit schon an einem Dokumentarfilm über drei ehemalige Mitschüler gearbeitet, die sich zwischen 1980 und 1990 das Leben nahmen. In einem sehr persönlicheren Dokumentarspielfilm mit dem vielleicht unangemessen pathetischen Titel „Die Überlebenden“ versucht er das „Porträt einer Generation“ zu zeichnen, „die scheinbar durch den Rost der Geschichte gefallen ist“. Die „Überlebenden“ – wenn man sie so nennen will –, also Bekannte, Freunde, Eltern, Geschwister, Arbeitskollegen, erzählen von den eher unspektakulären Rebellionen und Verweigerungen der drei Selbstmörder: traurig, unsicher, mitfühlend manche; andere aus der besserwisserischen Arroganz wohlgeordneter Lebenseinrichtungen. Die Toten wirken ein bißchen undeutlich – ganz wie echte Menschen.

„Ich denke, daß der Film mehr erzählt als nur die drei Biographien der Selbstmörder“, sagt Andres Veiel. „Da geht es um Stammheim, um diesen Sturm und Drang der siebziger Jahre. Dann gibt es Sachen, die in die achtziger Jahre weisen: diese ganz vorsichtigen Versuche von Rudi zum Beispiel, sich dem Auto zu verweigern. Das Thema Auto schleicht sich durch den ganzen Film: Tilman und Thil brachten sich mit Autoabgasen um. Rudi schrieb einen Leserbrief an die Zeitung, in dem er gegen Mercedes protestierte, und wurde dafür belächelt. Beim Vater von Rudi lief der Einstieg über sein Auto. Zuerst wollte er gar nichts sagen; dann sagte er, er würde sich gern mit dem Auto filmen lassen. Und dann steht er vor dem Wagen, für den er sieben Tage die Woche 16 Stunden gearbeitet hatte, und sagt: ,Dieser Wagen hat mich nie verlassen.‘ – Mein Sohn hat mich verlassen, ist dann der Subtext dazu.

Zwischen den 68ern und der Generation X gibt es ja auch noch ein paar Leute, die keine Spuren hinterlassen haben. Wenn ich Generation sage, dann meine ich: Das sind die letzten Vertreter, deren Väter noch im Zweiten Weltkrieg waren, wo bestimmte Fragen noch gestellt werden mußten. Die Jüngeren werden diese Fragen nicht mehr stellen. Vor allem hat mich diese Normalität interessiert: daß Thilo, Tilmann und Rudi eben nicht Anführer der Hausbesetzerbewegung waren, sondern Leute, die einen halben Schritt gemacht haben. Die versucht haben, zu entkommen. Jeder auf seine Weise: daß Thilo beim Autoklauen erwischt wurde und in Frankreich dann im Knast war; daß Rudi nach Schottland ging und Tilman nach Berlin, um nicht zum Bund zu müssen.“ Detlef Kuhlbrodt

„Die Überlebenden“. Regie: Andreas Veiel