Trotz Rechtsweg ist Streik nicht ausgeschlossen

■ Wenn ab 1. Oktober die Lohnfortzahlung gekürzt wird, rät die DAG: Klagen Sie!

Berlin (taz) – Der Drohung von Arbeitgebern, kranken Mitarbeitern ab dem 1. Oktober nur noch 80 Prozent des Lohns auszuzahlen, sehen die Gewerkschaften gelassen entgegen. ÖTV und IG Bau sagten gestern, sie würden ihren bedrängten Kollegen von der IG Metall fest zur Seite stehen, sollten die Metallarbeitgeber als erste solche Kürzungen vornehmen.

Werner Stumpfe, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, hatte vorgestern zu diesem Schritt geraten und gesagt, eine entsprechende Kürzung vertrage sich mit den Formulierungen in den Tarifverträgen. Die Gewerkschaften hingegen meinen, daß, solange die Tarifverträge laufen, die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gezahlt werden muß.

Nicht nur in der Metallindustrie fürchten Beschäftigte die gekürzte Lohnfortzahlung. Auch im Hotel- und Gaststättengewerbe und in der chemischen Industrie haben die Arbeitgeber bereits angekündigt, ab Oktober nach dem neuen Gesetz zu verfahren.

„Solches Vorgehen werten wir als eindeutigen Bruch von Tarifverträgen“, sagte Ursula Engelen- Kefer, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, gestern. Mit „massiven Protesten“ sei zu rechnen, Streik sei nicht ausgeschlossen. Zu einem Streikaufruf läßt sich allerdings kein Gewerkschafter hinreißen, denn legal wäre ein Arbeitskampf erst, wenn die Arbeitgeber den geltenden Tarifvertrag förmlich kündigen. Das, so sagen die Arbeitgeber, käme ihnen nicht in den Sinn. Dennoch haben die Gewerkschaften vorsorglich Juristen damit beauftragt, die Frage des Tarifbruchs eindeutig zu klären.

Einem Streik vorgelagert wären erst einmal Einzelklagen. Zu solchen Klagen rät Engelen-Kefer allen, deren Arbeitgeber den Lohn im Krankheitsfall kürzen: „Wir bieten allen Mitgliedern Rechtsschutz.“ Klagen vor den Arbeitsgerichten können sich bis zu drei Jahren hinziehen. „Aber solange werden wir mit unserem politischen Protest nicht warten“, meinte Engelen-Kefer. Welche Aktionen die Gewerkschaften planen, war gestern noch nicht zu erfahren.

Rückendeckung erhielten sie von prominenter Seite. Thomas Dietrich, der Präsident des Bundesarbeitsgerichts, sagte, mit ihrer Auffassung hätten die Gewerkschaften „im Prinzip recht“. Grundsätzlich gelte im Arbeitsrecht das „Günstigere für den Arbeitnehmer“. Annette Rogalla