Unter dem Deckmantel der Liebe

■ Betont schlicht: eine Installation der Künstlerin Beth B.

Der Raum ist absolut dunkel. Nur an der Stirnwand tauchen auf zwei nebeneinanderliegenden Quadraten im Wechsel farbige und schwarzweiße Videoprojektionen auf. Davor stehen ein paar ungastliche Metallbänke, im Hintergrund sieht man eine Eisenzelle. Die Installation „Under lock and key“ ist so karg wie das Gefängnis, das die New Yorker Filmemacherin Beth B. im Podewil nachgebaut hat.

Dann erscheint ein Gesicht, es ist die Fotografin Nan Goldin. Ihre Fotografien, namentlich „The ballad of sexual dependency“ zeigten neben vielen Freundinnen und Freunden auch ein paar Portraitaufnahmen der Fotografin selbst. Als die Bilder entstanden, waren Goldins Augen dick geschwollen, ihr Körper mit Blutergüssen übersät. Ihr Liebhaber hatte sie zusammengeschlagen. Damals riet ihr eine Freundin, der Polizei zu erzählen, „daß ein Fremder es getan hätte“. Das sollte Goldin vor Komplikationen schützen. „Noch Jahre später bereute ich es, Dich nicht mit hineingezogen zu haben, denn so wurde es meine Aufgabe, Dich zu verurteilen und für schuldig zu befinden.“ Die Worte sind an den Lover aus vergangenen Zeiten gerichtet, das Gefühl ist trotzdem sehr präsent geblieben.

Insgesamt fünf Opfer von Gewalttaten hat Beth B., deren Film „Vortex“ bereits 1983 auf der Berlinale lief, darum gebeten, einen Brief an den jeweiligen Täter zu formulieren. Sie beginnen sehr privat: „Lieber Dad“, „Lieber Brian“, „Lieber Howard“ – vertraute Personen, mit denen die Opfer eine wie auch immer „opernhafte“ (Goldin), kümmerliche oder ambivalente Beziehung verband. Unter dem Deckmantel der Liebe finden sich hier Abhängigkeit, Zerstörung, Mißbrauch und Vergewaltigung wieder.

All die Übergriffe und Verletzungen sind ohne strafrechtliche Folgen geblieben. Die Schwierigkeit, selbst Rache zu nehmen und eventuell das Geschehene als Teil der eigenen Biographie überwinden zu können, ist genauso Thema der Rauminstallation wie die Unzulänglichkeit der Justiz. Rechts neben den Opfergeschichten spricht ein Schauspieler sehr gleichmäßig die selbstgerechten und oft wirren Sentenzen des Serienmörders Ted Bundy – verfremdet in flirrendem Videoschwarzweiß, sozusagen als Stellvertreter aller Täter: „Menschen verschwinden jeden Tag. Das passiert die ganze Zeit. Es gibt also viele Menschen, sie werden nicht vermißt. Was ist schon einer weniger? Was für einen Unterschied wird es in hundert Jahren machen?“ sagt der Mann, der den Mord an vierzig jungen Frauen gestand und 1989 im Staatsgefängnis von Florida hingerichtet wurde. Bundy war eine Vorlage für Hannibal Lector in Jonathan Demmes „Schweigen der Lämmer“: „Werde ich jemals in den Himmel kommen? Ich fühle mich nicht schuldig wegen irgendeiner Sache“, grübelt die Figur plötzlich auf der Leinwand.

Weiter als bis in die kruden Statements reichen die Gemeinsamkeiten allerdings nicht. Denn Beth B.'s Arbeit spekuliert nicht auf zynische Sensationsmache oder den Genuß am Grusel. Sie ist beinahe sachlich in ihrem Arrangement, bedient sich betont schlichter Mittel, mixt Nachbau und Inszenierung mit unkommentierten Originaltönen. Das ist heikel, wirkt aber nie beliebig.

Rekonstruktion und Selbstanalyse setzen sich im vierteiligen Zellenblock fort. Es wirkt fast heimelig in den Räumen mit Metallpritsche, so sanft und gelb bricht sich das Licht an den Wänden aus Metall. Um Exaktheit bemüht, ist am Boden ein Abfluß eingelassen. Aus einem unsichtbaren Lautsprecher laufen in den Zellen Auszüge aus „In the belly of the beast“, den Gefängnisaufzeichnungen des Mörders Jack Henry Abbot, der seit seiner Jugend nur neuneinhalb Monate in Freiheit verbrachte und für dessen „Memoiren“ immerhin Norman Mailer das gutmenschelnde Vorwort schrieb.

„Under lock and key“ ist eine Bestandsaufnahme, ein künstlerischer Zweckbau, dessen aus Videobriefen bestehender Teil durch die teilweise disparat erscheinenden Nebeneinanderstellungen noch an Eindringlichkeit gewinnt. Leer geht man am Ende wieder heraus. Gudrun Holz

Podewil, Klosterstr. 68–70, Di.–So. 14–20 Uhr (am Wochenende bei Veranstaltungen), bis 29.9.