Sternstunden der Toleranz Von Klaudia Brunst

Natürlich stand unser Telefon gestern den ganzen Tag über nicht still. Es ist doch erstaunlich, wie viele unserer Freunde regelmäßig den Stern lesen. „Würden Sie abtreiben, wenn ein Test ergibt, daß Ihr Kind homosexuell wird?“ hatte Forsa im Auftrag der Hamburger Illustrierten gefragt. Und nur 53 Prozent der Befragten hatten sich klar gegen diese Option entschieden. „Da winken uns diese verspießerten Heteros bei der Gay-pride- Demonstration scheinheilig liberal vom Straßenrand zu“, hatte unsere Nachbarin gewütet, „zerbrechen sich den Kopf darüber, ob wir nun heiraten dürfen oder nicht, zocken uns im Zweifelsfall Sozialhilfe für unsere Lebenspartner ab – und in Wirklichkeit würden sie uns am liebsten wegspritzen!“

„Das stimmt so ja auch nicht“, korrigierte sie unser schwuler Freund am Abend, als wir uns zu unserer Doppelkopfrunde zusammengefunden hatten. „Du mußt die Zahlen genau interpretieren: Nur 14 Prozent, also jeder siebte Deutsche, würde uns wegspritzen wollen.“ Ganz so schlimm sei es also nicht um uns bestellt, wenn auch diese Zahl nicht eben ermunternd sei für unseren Kampf um Gleichberechtigung. – „Zumal da noch die 33 Prozent Unentschiedenen sind“, wie meine Freundin einwandte, die am Morgen auch schon ans Auswandern gedacht hatte, sich dann aber nicht so recht darüber klarwerden konnte, wohin man denn eigentlich gehen sollte.

„Seien wir doch mal ehrlich“, meinte unsere Nachbarin, „unsere Mütter hätten sich das am Ende vielleicht auch überlegt.“ Und sooo lustig sei das ja auch nicht immer gewesen mit dem Homosexuellwerden. „Wenn ich an mein Coming-out denke...“, stöhnte sie, „...diese ganzen Geständnisse und Zweifel und Irrtümer. Schön war das nicht.“ – „Irrtümer?“ fragte ich irritiert nach. „Du ahnst ja gar nicht, wie viele sabbernde Jungmännermünder ich in meiner Jugend geküßt habe, bevor mir klar wurde, daß das einfach nix für mich ist“, winkte unsere Nachbarin angewidert ab. „So ein Test wäre doch auch für unsereinen irgendwie praktisch. Da weiß man gleich, woran man ist – und muß nicht erst lange rumprobieren.“ – „Wenn man den Test überhaupt überlebt“, zischte meine Freundin, „und nicht vorher einfach abgetrieben wird!“

„Also, erstens weiß ich gar nicht, was ihr gegen Jungmännermünder habt“, entgegenete mein schwuler Freund pikiert, „und dann muß man doch eines noch einmal klarstellen: Es ist noch überhaupt nicht klar, ob es so ein Homogen überhaupt gibt. Wir reden hier also letztlich über ungelegte Eier. Und ich persönlich habe auch gar kein Interesse daran, daß das mal jemand rauskriegt. Man sieht ja, wohin das führt.“

„Neulich habe ich übrigens Brigitte und Petra im Frauengesundheitszentrum getroffen“, warf unsere Nachbarin ein. „Die Petra ist so was von schwanger, daß sie kaum noch durch die Tür paßt. Künstliche Befruchtung mit holländischem Sperma. Die hat vorher auch alle möglichen Tests machen lassen. Das Kind ist gesund, soweit man das vorhersagen kann. Aber die beiden sind trotzdem total besorgt. Daß ihr kleines Mädchen womöglich hetero werden könnte. Kann man ja verstehen. Also ich für meinen Teil hätte auch keine Lust, so ein verspießert-beschränktes Normalo-Blag an meiner zarten Homobrust zu nähren.“