Wiedervereinigung im Schatten Hongkongs

Macau wird im Jahre 1999 an China übergeben. Dabei setzt Peking auf das Wohlwollen der portugiesischen Kolonialmacht. Anders als in der britischen Kronkolonie ist Demokratisierung kein Thema. Die Opposition ist schwach  ■ Aus Macau Sven Hansen

„Ich bin optimistisch, daß unser Haus in Zukunft funktioniert“, sagte ein Geschäftsmann aus Macau mit Blick auf die Zukunft der Stadt unter chinesischer Hoheit. „Aber“, fügte er hinzu, „ich habe Angst vor dem Erdbeben. Das trifft vielleicht gar nicht mein Haus, sondern nur das des Nachbarn.“ Im Unterschied zum Nachbarn Hongkong verläuft in Macau die Übergabe an China konfliktfreier. Wie das größere Hongkong wurde Macau von der chinesischen Regierung nach der Formel „ein Land, zwei Systeme“ für 50 Jahre Autonomie, Selbstverwaltung und die Beibehaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems zugesagt. Bei der Übergabe arbeiten China und Portugal eng zusammen. Lissabon setzt auf Pekings Wohlwollen und ist viel konzilianter als London bei der Rückgabe Hongkongs. Nach dem chaotischen Abzug aus seinen afrikanischen Kolonien sowie aus Goa und Ost-Timor will Portugal jetzt einen reibungslosen Übergang.

Macaus Bevölkerung sieht der chinesischen Herrschaft relativ gelassen entgegen. „Hier gibt es Erfahrungen mit über 400 Jahren Kolonialherrschaft, so daß die Bevölkerung keine hohen Erwartungen hat. Die Menschen kümmern sich um ihr eigenes Leben. Es gibt kaum organisierte Interessengruppen, die politische Kultur ist wenig ausgeprägt. Die Menschen sind meist passiv und stellen kaum Forderungen an die Regierung“, sagt der Politikwissenschaftler Philippe Siu von der Universität Macau. Mit Ausnahme der Macanesen fehlt den Menschen eine lokale Identität. „50 Prozent der Bevölkerung lebt weniger als 20 Jahre in der Stadt. Nur 40 Prozent sind in Macau geboren“, sagt der seit 1991 amtierende Gouverneur Vasco Rocha Viera, ein ehemaliger portugiesischer General.

Die Regierung in Peking gibt längst den Ton an

Die meisten Bewohner Macaus stammen aus der Volksrepublik China. Sie fühlen sich als Chinesen und interessieren sich weder für Portugal noch für die portugiesische Sprache, mit der sie in diesem Teil der Welt auch nichts anfangen können. Bei Sportveranstaltungen unterstützt Macaus Bevölkerung die Mannschaften Chinas und nicht Portugals. Für die Macau- Chinesen ist die Übergabe an China natürlicher als für die Bewohner Hongkongs. Diese haben eine ausgeprägtere lokale Identität und Respekt vor dem britischen Kolonialsystem.

In Macau gibt Peking längst den Ton an. Zweimal wollte Lissabon Macao sogar an China zurückgeben: als es in der Stadt während der chinesischen Kulturrevolution zu blutigen Unruhen kam und nach der Nelkenrevolution in Portugal. Peking lehnte jedoch ab. Schließlich besaß Portugal aus der Sicht der chinesischen Regierung nicht die Hoheit über Macau. Lissabon mußte sich verpflichten, in der Stadt die protaiwanesischen Kräfte auszuschalten und künftig alle größeren Entscheidungen mit Peking abzustimmen. Wichtige Organisationen wie die Handelskammer, die Gewerkschaften und die Nachbarschaftsvereinigungen Kaifong werden seit langem von prochinesischen Kräften dominiert.

Auch portugiesische Pässe tragen in Macau zur Gelassenheit bei. Während London die Bewohner Hongkongs nur als Bürger zweiter Wahl behandelt und ihnen vollwertige britische Ausweise verwehrt, erhielten die Bewohner Macaus, die seit vor 1982 in der Stadt leben, einschließlich ihrer Kinder von Lissabon portugiesische Papiere. Damit verfügen über 100.000 Macau-Chinesen über ein Aufenthaltsrecht in der Europäischen Union, d. h. ironischerweise auch in Großbritannien.

Trotzdem fragt sich auch in Macau die Bevölkerung, ob Peking die gemachten Versprechen einhalten wird. „Natürlich machen sich die Leute hier gewisse Sorgen“, sagt der Macanese Carlos Marreiros. „Nicht weil sie denken, daß Peking alles ändern wird, sondern weil sie quasi in eine neues Haus ziehen und die Bevölkerung Macaus nun mal konservativ ist.“ Während Peking in Hongkong die unter Gouverneur Christopher Patten durchgeführten Reformen umgehend rückgängig machen will, wird mit Macau großzügiger verfahren. Peking will am Beispiel Macaus zeigen, daß die Konflikte bei der Wiedervereinigung mit Hongkong allein Londons Schuld sind. China kann sich in Macau die Gelassenheit leisten, weil es weiß, daß Lissabon Konflikte scheut.

Anders als London, das erst nach Abschluß der Rückgabeverhandlungen und sehr zum Ärger Pekings in den letzten Jahren in Hongkong demokratische Reformen umsetzte, führte Lissabon in Macau bereits in den 70er Jahren eine gewisse Demokratisierung durch. Zwei Jahre nach der portugiesischen Nelkenrevolution bekam Macau 1976 seine eigene Verfassung. Damit wurde die direkte Wahl einiger Abgeordneter der Legislativversammlung eingeführt, während der Gouverneur weiter vom portugiesischen Staatspräsidenten ernannt wird und sein siebenköpfiges Kabinett selbst bestimmt.

Verglichen mit den Demokratisierungen, die in den letzten Jahren in anderen asiatischen Ländern und in Hongkong stattfanden, blieben die Reformen in Macau sehr begrenzt. Das ist ein Grund, warum Peking an ihnen so wenig Anstoß nimmt. Außerdem dominieren die Anhänger Chinas ohnehin zusammen mit konservativen Kräften die Legislative. Ihre gemeinsamen Interessen lauten Stabilität und gute Geschäfte, eine weitergehende Demokratisierung ist nicht vorgesehen. Dabei ist auch in Macau eine unabhängige Demokratiebewegung entstanden. Nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung in China im Juni 1989 demonstrierten in der portugiesischen Enklave sogar über 100.000 Menschen gegen das Massaker auf dem Platz des Himmlichen Friedens in Peking.

Macaus Demokratiebewegung ist jedoch wenig einflußreich. Beobachter wie der Hongkonger Macau-Experte Lo Shiu Hing führen das außer auf die hohe Zahl chinesischer Migranten vor allem auf die geringe Größe der Stadt und ihre nur kleine Mittelschicht zurück. Bei den letzten Wahlen 1992 konnten die demokratischen Kräfte mit Ng Kuok Cheong nur einen der acht direkt gewählten Sitze erringen, ein weiterer Abgeordneter gilt mit Abstrichen als demokratiefreundlich. „Wir wollen, daß die Regierung stärker von der Legislative und der Zivilgesellschaft kontrolliert wird“, sagt Ng.

Der junge Abgeordnete hat sein Engagement mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes bei der von Peking kontrollierten Bank of China bezahlen müssen. Er ließ sich jedoch nicht einschüchtern und arbeitet inzwischen bei der katholischen Caritas. Die Kirche ist in Macau nach den Vetretern Chinas und Portugals das dritte Machtzentrum, hält sich aus der Politik aber weitgehend heraus. Ng kämpft mit seinen Anhängern gegen die Übermacht einer Peking-freundlichen Presse. Er gibt sich zwar optimistisch, wiedergewählt zu werden, Stimmengewinne schließt er aus finanziellen Gründen aber aus.

Bis vor wenigen Jahren galt Macau als verrucht, verschlafen und heruntergekommen. Mit seinen alten Kolonialbauten strahlte es im Vergleich zum modern-dynamischen Hongkong eine morbide Gelassenheit aus. Damit ist es inzwischen vorbei. In den letzten Jahren haben die Regierung sowie Geschäftsleute aus China und Hongkong stark investiert. Ein internationaler Flughafen, ein neuer Fährterminal, ein Containerhafen, eine zweite Brücke zwischen Macau und Taipa, große Landgewinnungsprojekte und zahlreiche neue Museen sollen die Attraktivität der Stadt erhöhen und das Vertrauen in die Zukunft fördern. „Die großen Projekte stoßen auf Begeisterung. Doch die Regierung hat dafür einen großen Teil ihres Haushalts ausgegeben, und das auf Kosten sozialer Maßnahmen. Zwar helfen die Investitionen, aber manche haben das Gefühl, daß sie zu spät kommen“, sagt Universitätsdozent Siu.

Durch den Bau zahlreicher Hochhäuser hat sich Macau inzwischen optisch an Hongkong angenähert. Die gleichzeitige Renovierung vieler Kolonialbauten hat der Stadt jedoch auch etwas von ihrer südeuropäischen Atmosphäre zurückgegeben und zum Erhalt der einzigartigen sinoportugiesischen Mischung beigetragen. In Macau wird nicht nur portugiesischer Stockfisch mit Stäbchen gegessen, hier finden sich auch pastellfarbene Kolonialbauten mit Arkaden und schmiedeeisernen Balkonen in direkter Nachbarschaft zu chinesischen Tempeln.

Zwar hat Macau für einige seiner wenigen industriellen Exportprodukte wie Textilien einen Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Doch die portugiesische Enklave lebt noch immer hauptsächlich von ihren Casinos. Das Glücksspiel und der damit verbundene Tourismus tragen 40 Prozent zum Haushalt bei. Die Mehrzahl der meist aus Hongkong stammenden jährlich 7,8 Millionen Touristen kommen mit dem Tragflächenboot für einen Tag aus der britischen Kolonie herüber, um in den neun Casinos zu spielen. Bereits auf den Fähren, die auch dem Glückspielsyndikat STDM (Sociedade Turismo e Diversoes de Macau – Gesellschaft für Tourismus und Unterhaltung) gehören, können die Touristen ihr Glück versuchen. Mit rund 10.000 Angestellten ist STDM der größte private Arbeitgeber.

Die Elite sorgt sich um die wirtschaftliche Zukunft

Vor dem STDM-Hauptquartier und größten Casino der Stadt, dem Hotel und Casino Lisboa, liegt ein runder Platz mit einem leeren Sockel in der Mitte. Bis 1992 stand hier eine Reiterstatue des Gouverneurs Joao Ferreira do Amaral aus dem vorigen Jahrhundert. Für die chinesische Regierung war es ein Symbol des Kolonialismus, sie setzte schließlich die Entfernung des Denkmals durch. Zur gleichen Zeit wurde direkt an diesem Platz die Bank of China fertiggestellt. Der achteckige Turm aus Spiegelglas und sandfarbenem Marmor ist das höchste Gebäude der Stadt. Deutlicher hätte sich die Machtverschiebung in Macau kaum symbolisieren lassen.

Peking konnte sich gegenüber Lissabon jedoch nicht mit der Forderung durchsetzen, für die Stadt einen Devisenfonds anzulegen. Chinas Regierung befürchtete, wegen der großen Kosten der staatlichen Infrastrukturinvestitionen leere Kassen zu übernehmen. Ansonsten stört sich China vor allem daran, daß in den Führungspositionen Macaus der Anteil der lokalen Bevölkerung so gering ist. Noch immer geben in der Verwaltung Portugiesen den Ton an. „Die mangelnde Vorbereitung der lokalen Beamter auf den Abzug der Portugiesen ist Lissabons größte Sünde bei der Übergabe“, sagt der Macanese Marreiros.

Mit seinem Gemisch aus portugiesischer Gelassenheit und asiatischer Geschäftigkeit ist Macau ein kurioses Relikt der Kolonialzeit. Die Elite der Stadt macht sich vor allem Sorgen über die wirtschaftliche Zukunft. Mit Canton und Hongkong sowie den beiden Wirtschaftssonderzonen Shenzhen und Zhuhai gibt es im Delta des PerlFlusses starke Konkurrenz. Während Demokratie für Macaus Elite kein Thema ist, befürchtet sie, daß bei möglichen Unruhen in Hongkong auch das davon stark abhängige Macau leiden wird.