Dope spaltet Deutschland

■ Die Jusitizminister der Länder haben sich immer noch nicht über die "geringe Menge" Cannabis geeinigt. Nur in Schleswig-Holstein denkt man schon weiter

Haschisch im legalen Verkauf? Staatlich kontrollierter Marihuana-Anbau auf Feldern, die von der Polizei bewacht werden? Oder geht alles so weiter wie bisher? Darauf deutet vieles hin, denn fast überall in Deutschland herrscht drogenpolitische Lethargie. Allein in Schleswig-Holstein gehen die Uhren anders: Dort bereitet das Gesundheitsministerium den ersten Modellversuch zum Verkauf von Cannabis in Apotheken vor.

Zur Erinnerung: Im März 1994 erließ das Bundesverfassungsgericht das sogenannte Cannabis-Urteil, in dem festgestellt wurde, daß die Gefährlichkeit von Cannabisprodukten, so wie sie bisher angenommen worden war, nicht haltbar sei. Von der Bestrafung des Besitzes geringer Mengen zum (gelegentlichen) Eigenverbrauch sei deshalb „grundsätzlich abzusehen“. Außerdem sei es nicht Rechtens, daß die einzelnen Länder verschiedene Definitionen anwendeten, was unter einer „geringen Menge“ Cannabis zu verstehen sei. Um eine einheitliche Regelung zu finden, gaben die Karlsruher Richter den Landesjustizministern ein Dreivierteljahr Zeit. Sechs Monate später hob das Amtsgericht Lübeck die „geringe Menge“ Haschisch auf vier Kilogramm an.

Zweieinhalb Jahre später scheint es so, als habe es den Spruch der Verfassungsrichter nie gegeben. Zum einen wurde das Urteil der Lübecker Richter vom Bundesgerichtshof erst vor kurzem einkassiert. Zum anderen wurde von Seiten der Justizminister noch nicht einmal eine Arbeitsgruppe zur Definition der „geringen Menge“ eingesetzt (s. Graphik Seite 6). Nur in Schleswig- Holstein tut sich was. Wenn sich die Konferenz der Landesgesundheitsminister im November trifft, wird Heide Moser (SPD) ihren KollegInnen den Plan vorstellen, der parallel dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Genehmigung vorgelegt werden soll: der Verkauf von Cannabis über Apotheken ab dem Frühjahr 1997.

Geplant ist folgendes: Für voraussichtlich fünf Jahre werden in einer Region Schleswig-Holsteins Haschisch und Marihuana in Apotheken legal zu kaufen sein. Zwar werden die Kiffer kein Rezept brauchen, um sich ihr Gras zu kaufen, aber ganz so einfach wie Kopfschmerztabletten werden die Päckchen trotzdem nicht zu haben sein. Jeder Käufer wird Teilnehmer des Modellversuchs und bekommt eine Karte mit einer Nummer, auf der die Sorte und dieMenge Stoff eingetragen wird, die er erworben hat. Über diese Karte und Umfragen an Schulen und in Jugendzentren werden sich Wissenschaftler der Universität Hamburg Datenmaterial besorgen, um die Ergebnisse des Modellversuchs auszuwerten.

„Die Gefährlichkeit von Cannabis ist ein durch nichts bestätigtes Gerücht“, sagt Karl-Heinz Müller, Pressesprecher des schleswig-holsteinischen Gesundheitsministeriums. „Wenn irgend etwas am Cannabiskonsum gefährlich ist, dann das Milieu.“ Ziel des Modellversuchs ist es daher, eine „Trennung der Märkte“ zu erreichen. Wenn es gelinge, den Markt für „weiche“ Drogen von dem für „harte“ Drogen zu trennen, sei ein wichtiger Schritt getan, Haschisch das Image der Einstiegsdroge zu nehmen. „Wir müssen die Leute von den Milieu-Übergängen wegbekommen.“ Deshalb richtet sich das Experiment auch weniger an Altkiffer, sondern vor allem an Jugendliche. Das Mindestalter für Teilnehmer ist zwar noch nicht festgelegt, Karl-Heinz Müller hält es aber für „vernünftig“, Jugendliche ab 16 Jahren mitmachen zu lassen.

Sollte das BfArM den Modellversuch genehmigen, werden die betreffenden Paragraphen des Betäubungsmittelgesetzes für die Dauer der Testphase im Versuchsgebiet außer Kraft gesetzt. Ob Versuchsteilnehmer durch ihre Teilnehmerkarte in anderen Bundesländern einen besonderen Schutz genießen, ist noch nicht geklärt.

Ein weiteres Problem ist die Beschaffung des Stoffs. Das Marihuana könnte aus Holland importiert oder in Schleswig-Holstein angebaut werden. Ob das überhaupt zulässig ist, weiß Karl-Heinz Müller auch noch nicht, zumal es um größere Mengen geht. Ein paar Tonnen sollten es schon sein, scherzt er, „sonst sind wir eines Tages ausverkauft und müssen auf den Schwarzmarkt ausweichen“. Seine Behörde stehe mit dem Agrarministerium in Verbindung. Die letzten Unklarheiten müssen bis November ausgeräumt werden. Dann wird das Konzept dem BfArM zur Genehmigung vorgelegt. Das Institut untersteht dem Bundesgesundheitsministerium, ist jedoch unabhängig. Es gilt allerdings als sehr konservativ.

Unterstützung haben die Nordlichter vor allem aus den SPD-regierten Ländern zu erwarten. Die hessische Landesregierung zum Beispiel unterstützt den Versuch „vorbehaltslos“. Einen eigenen Versuch wollen die Hessen aber noch nicht beantragen. Sollte die Genehmigung durchkommen, würden sie „die Ergebnisse sorgfältig auswerten“, heißt es salomonisch aus dem dortigen Gesundheitsministerium. Ganz andere Töne kommen jedoch aus München. Die bayrische Landesregierung lehnt den Modellversuch „energisch“ ab. Neben rechtlichen Bedenken befüchten die Bayern angesichts der offenen Grenzen „Drogentourismus“ in „ungeahntem Umfang“. Tobias Rapp