: Skandinavier dürfen nicht prügeln
Fast alle Eltern kennen die Situation: Man steht in einer langen Schlange vor der Kasse eines Supermarkts, das Kind will die ausliegende süße „Quengelware“ haben, kriegt sie nicht, brüllt los, alle drehen sich um. In Deutschland ist schnell der Satz zu hören: „Na, dem würde ich aber eins hinter die Löffel geben“.
In Schweden werden Menschen, die solche Sprüche von sich geben oder tatsächlich zuhauen, immer mehr zur Rede gestellt. Eine neue, noch unveröffentlichte Studie der Stockholmer Organisation „Rettet die Kinder“ belegt, daß Ohrfeigen und Prügel inzwischen in hohem Maße gesellschaftlich geächtet werden. Die schwedische Regierung hat jede Form von Körperstrafen gegen Kinder 1979 zivilrechtlich untersagt und ihre Gesetzesänderung mit einer breiten öffentlichen Kampagne begleitet. Die Eltern wurden nicht nur über die negativen Folgen der Prügelpädagogik aufgeklärt, sondern auch über alternative Handlungsweisen: Wie kann man konfliktgeladene Situationen unterbrechen, wie kann man die eigene Wut kanalisieren?
Auch in Finnland, Norwegen und Dänemark ist Gewalt gegen Kinder inzwischen zivilrechtlich für unzulässig und unerwünscht erklärt worden, ebenso in Österreich und Malta. In allen anderen europäischen Ländern sind Prügel jedoch nach wie vor nicht verboten. In Italien allerdings erging erst vor kurzem ein höchstrichterliches Urteil, laut dem jede Form von Gewaltanwendung gegenüber Kindern untersagt ist.
Mit Spannung darf man auch auf den Ausgang jenes Verfahrens warten, das der Anwalt eines britischen Kindes vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestrengt hat. Der Stiefvater des Jungen hatte diesen mit einem Rohrstock verprügelt und war vor Gericht freigesprochen worden. Sollte der Zwölfjährige Recht bekommen, würde Großbritannien auf diese Weise gezwungen, prügelnde Eltern künftig zu bestrafen.
Das wäre eine kleine Kulturrevolution in einem Land, das bei der Häufigkeit von Körperstrafen europaweit mit an der Spitze steht. Nach Umfragen geben 91 Prozent aller britischen Eltern zu, ihre Kinder in irgendeiner Weise zu züchtigen. Auch vor Lehrern sind die englischen Kids nach Auskunft des Deutschen Kinderschutzbundes nicht sicher: In Privatschulen dürfen die Kinder reicher Eltern verprügelt werden, Stipendiatenkinder jedoch nicht.
Noch finsterer sieht es in manchen osteuropäischen Ländern aus, in denen der wirtschaftliche und soziale Streß in Form von Gewalt an die Kinder weitergegeben wird. „In Rumänien dürfte die Quote prügelnder Eltern bei 100 Prozent liegen“, vermutet Katharina Abelmann-Vollmer vom Kinderschutzbund nach Gesprächen mit sachkundigen Kollegen.
Empirisches Material gibt es es für Osteuropa jedoch so gut wie gar nicht. In Polen hat die beginnende öffentliche Debatte zumindest für eine kleine Verbesserung im Kinder- und Jugendhilfegesetz gesorgt. Dort heißt es nun: „Gewaltanwendung ist nicht wünschenswert.“ Aus Polen kam auch 1979 der Vorschlag, eine UN-Konvention über die Rechte des Kindes zu entwerfen. Diese hat 54 Artikel und wurde 1989 von der UN-Generalversammlung angenommen (siehe Kasten). Die Schweiz und die Niederlande haben bisher nicht unterzeichnet. Ute Scheub
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