■ Heute ist Weltkindertag - Grund genug, auf Armut, Hunger und Kinderarbeit allerorten hinzuweisen. Aber auch Grund genug, sich zu Hause umzugucken. Eineinhalb Millionen Kinder in Deutschland werden von den Eltern gezüchtigt.
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Heute ist Weltkindertag – Grund genug, auf Armut, Hunger und Kinderarbeit allerorten hinzuweisen. Aber auch Grund genug, sich zu Hause umzugucken. Eineinhalb Millionen Kinder in Deutschland werden von den Eltern gezüchtigt.

In Würde verprügelt

Schade, daß niemand die Richter des Bundesgerichtshofs mit dem Gartenschlauch verprügelt. Schade, daß es keine generelle Vorschrift gibt, nach der Juristen am eigenen Leib erleben müßten, zu welchen Strafen sie andere verdonnern. Die hohen Richter des BGH kamen im November 1986 zu dem Schluß, für ein Kind sei es nicht entwürdigend, wenn es mit einem Gartenschlauch verprügelt werde. Damit wurde ein Vater, der seine achtjährige Tochter malträtiert hatte, vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen: „Eltern sind zur maßvollen körperlichen Züchtigung berechtigt“, so der BGH. „Die Verwendung eines Schlaggegenstandes drückt der Züchtigung – noch nicht den Stempel einer entwürdigenden Behandlung auf.“

In den deutschen Gesetzen sind körperliche Strafen weder ausdrücklich erlaubt noch ausdrücklich verboten. Im Bürgerlichen Gesetzbuch, kurz vor der Jahrhundertwende verfaßt, heißt es dazu lapidar: „Das Personensorgerecht umfaßt insbesondere das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“ (Paragraph 1631, Abs. 1 und 2). Im obigen Fall hatten die Bundesrichter also auszulegen, ob die Züchtigung mit einem Gegenstand entwürdigend ist oder nicht.

Rund eineinhalb Millionen Kinder in Deutschland werden nach Schätzung des Deutschen Kinderschutzbundes auf diese würdige Weise mißhandelt, mit Schläuchen, Teppichklopfern, Gürtelriemen und noch Schlimmerem. Zwischen drei und fünf Prozent dieser Kinder, also bis zu 80.000, tragen nach einer Hochrechnung von Katharina Abelmann-Vollmer vom Kinderschutzbund körperliche Verletzungen davon.

Dabei wollen viele Eltern eigentlich gar nicht schlagen. Sie tun es nicht aus pädagogischer Überzeugung, sondern weil sie gestreßt und überfordert sind, ihnen die Nerven durchgehen. „Kinder aufziehen ist eine höchst anstrengende Angelegenheit“, weiß auch der Kinderschutzbund. Er rät dazu, Streßsituationen und Machtkämpfe mit Kindern bewußt zu unterbrechen, indem man beispielsweise den Raum verläßt. Wenn das Kind selber schlägt, solle man es besser festhalten als zurückzuschlagen. „Sonst lernt es nur, Gewalt an Kleinere weiterzugeben“, so Abelmann-Vollmer.

Nach Umfrageergebnissen geben 57 Prozent aller Eltern zu, schon einmal oder vielfach ihre Kinder körperlich bestraft zu haben. Gleichzeitig befürworten gut 60 Prozent aller Befragten das gesetzliche Verbot solcher Strafen. „Viele Eltern haben ein schlechtes Gewissen“, interpretiert Abelmann-Vollmer diesen Widerspruch. Ein Verbot böte verunsicherten Erziehungsberechtigten eine klare Norm, an der sie sich orientieren könnten. An einen neuen Strafrechtsparagraphen sei dabei nicht gedacht. Auch dem Kind werde nicht geholfen, wenn seine Eltern vor den Kadi gezerrt würden. Dem Kinderschutzbund schwebt eine zivilrechtliche Regelung vor, wie sie in Schweden praktiziert wird.

Doch die Bonner Politiker haben Wichtigeres zu tun als sich darum zu kümmern, ob in den deutschen Familien die Schläger von morgen herangezüchtet werden. Ein Gesetzentwurf der früheren FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger blieb 1994 im parlamentarischen Getriebe hängen, weil die Legislaturperiode zu Ende ging. Sie wollte die „körperliche und seelische Mißhandlung“ von Kindern für unzulässig erklären. Klarer und trennschärfer ist ein Entwurf des Bundesrats gehalten, den dieser im Juli 1996 formulierte: „Kinder sind gewaltfrei zu erziehen. Körperstrafen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

Der Kinderschutzbund hofft nun auf die Kinderkommission des Bundestags. „Die Ohrfeige muß verboten werden“, forderte die SPD-Abgeordnete Dorle Marx als Kommissionsvorsitzende vor wenigen Tagen. Dem schloß sich nicht nur Rita Grießhaber von den Bündnisgrünen an, sondern auch ihr CSU-Kollege Johannes Singhammer: „Eine Ohrfeige hat den Charakter eines Faustschlags und verletzt die Würde des Kindes.“ Damit sind die Chancen auf eine interfraktionelle Gesetzesinitiative zumindest enorm gestiegen. Ute Scheub