Asyl

Bei mir an' Kiosk komm' ja de abgefahrensten Tüpen: Zahnarzt Dr. Raffler, Studienrat Arnold... sogar Herr Voscherau hat sich hier schon mal –ne „Esotera“ gekauft. Heute stand ein Pfarrer vor meine Luke. Katholisch. Die erkennst nämlich sofort an ihre weiße Kragen und schwarze Westen. Dieser hatte zwei schwere Kühltaschen bei sich und schwitzte, wie seinerzeit Petrus, als er sein' Herrn verleugnet hat (weiß ich noch aussen Kindergottesdienst!). „Gelobt sei...“, will ich ihn begrüßen, wie sich das gehört, aber er winkt ab: „Lassen Sie's gut sein.“ Und denn fragt er, ob ich Getränke hab. „Nur zum Verkauf“, sag ich, „und bloß Dosen, Gläser kann ich nicht ausgeben, weil ich keine Ausschankslizenz hab für mein' Kiosk, also: Wenn Sie trinken wollen, müssen Sie drei Schritte weit weggehn, wenn Sie die Dosen aufreißen“. Er läßt sich doch tatsächlich drei Dosen Pils geben, geht drei Schritte weit weg, schweift aber mit seine Blicke über meine Auslagen. „Den ,Kreuzweg' führ ich nicht mehr“, sag ich, „weil ich da kaum Kunden für hatte, und denn war er auch zu teuer. Wer tut denn 15 Mark für –ne Zeitschrift raus, wo bloß fromme Sachen drinstehn!“ „Dann geben Sie mir ,Mein schöner Garten'“, sagt er, linst aber ausse Augenwinkel nach rechts rüber, wo de Wixies häng': von „Bizarr“ über „Don Geilo“ bis „Swinger“. Er ist so vertieft, daß er gar nicht mitkriegt, wie Heinzi rangefedert kommt. Er glänzt mal wieder wie'n Räucheraal und duftet derart nach „Obsession“, daß sich das Zeitungspapier kräuselt. Er denn auch in seine burschikose Art: „Einmal –Exotic'!“ Die Zeitschrift ist neu auffen Markt, und sind Adressenlisten von ausländischen Frauen drin, die alle –n Job als Sekretärin suchen. Und denn fällt sein Blick auf de beiden Kühltaschen. „Na, Herr Pfarrer“, sagt er kühn, „kühln Sie damit vielleicht Ihren Abendmahlswein?“ „Nein“, antwortet der geistliche Herr und wird ganz rot, aber Heinzi läßt nicht locker: „Was denn sonst? Aber bitte nicht schwindeln, Herr Pfarrer!“ Der holt nu erstmal tief Luft, und denn flüstert er: „Ich komme gerade mit dem Flugzeug aus England... und in den Kühltaschen sind... Asylsuchende...“ „Wie“, hör ich nu die Stimme von Studienrat Arnold, hab ich gar nicht mitgekriegt, wie er sich angeschlichen hat, „Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß Sie in Ihren Behältern diese tiefgefrorenen englischen Embryonen transportieren, die zusammen mit den toten BSE-Rindern entsorgt werden sollen?“ „Hab ich auch gelesen“, meint Heinzi, „und darum, weil ihr Verfallsdatum überschritten war... Und nun holen Sie diese Wesen hierher?“ Der Pfarrer nickt. „Schutz des ungeborenen Lebens“, murmelt er. „Aber“, sagt Studienrat Arnold, „Sie wissen doch, wenn das Haltbarkeitsdatum überschritten ist, dann kann nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Embryonen wieder zum Leben erweckt werden, die anderen sind abgestorben. Und die reanimierten Exemplare weisen ausnahmslos starke physische und psychische Schäden auf“. Der Pfarrer zuckt die Achseln: „Und wenn schon... aber wir brauchen unbedingt Nachwuchs für unsere Klöster und Priesterseminare...“