Leerer Blick auf die Leser

Lessing, Heine, Liliencron und die anderen / Stein-, Mahn- und Denkmäler für Hamburger Dichter, oder: Männer unter sich  ■ Von Kay Dohnke

Starre Augen, leere Augen, in Gesichtern aus Beton und Sandstein, Terracotta, Bronze, voller Grünspan und Moos und Flechten. Hamburgs Dichter, auf Sockeln thronend, aufs Podest gehoben, damit die Welt Notiz von ihnen nehmen möge.

Das Material scheint die Rangfolge zu bestimmen: Wer es zu Bronze gebracht hat, dessen Werk ist wichtig, dem kann man in der Innenstadt begegnen. Jedenfalls wenn man hinschaut, wissen will, wie ein Zeilenschinder und Verseschmied ausgesehen hat.

Lessing auf dem Gänsemarkt, Heine auf dem Rathausmarkt – Kunstschaffende unter den Einkaufsbummlern. Während der philosophische Dramenautor seit 1881 unweit seines ehemaligen Theaters am Gänsemarkt in lässiger Pose auf dem Sockel sitzt und immer grüner wird, erklomm der bronzene Heine erst 101 Jahre später mit Hilfe einer Denkmals-Initiative das Podest – dafür aber zum zweiten Mal.

Die Nazis hatten das 1926 im Stadtpark aufgestellte Denkmal des kritischen Juden 1933 geschleift, und Hamburg tat sich fast ein halbes Jahrhundert lang schwer, den ungeliebten Lyriker wieder dreidimensional zu Ehren kommen zu lassen. Das neue Standbild ist dem alten nachempfunden, ergänzt um Reliefs zur Bücherverbrennung.

Doch wer nicht Heine oder Lessing hieß und trotzdem eine Lokalgröße war, dessen Denkmal findet sich, so denn seine literarischen Verdienste groß genug waren oder eine Denkmalslobby dahinterstand, nur selten und meist fern des Stadtkerns.

Wer ist – wie Lessing – Bronze wert und wer nur Sandstein, Beton? Wen zeigt man ganz, von wem nur den Kopf? Der Geist, der den ersten Heine zerstörte, ließ einen anderen Dichterkopf in Sandstein hauen: Im Juni 1934 zwischen Hakenkreuzfahnen eingeweiht, prangen unter dem verwitternden Konterfei Detlev von Liliencrons in Rahlstedts gleichnamigem Park Leier und Schwert. Immerhin war der Mann da schon 25 Jahre tot, und nicht nur zu braunen Zeiten wurde der dichtende Bürgerschreck mißverstanden, wurden seine Texte zu Kriegspropaganda umgedeutet.

Auch von den anderen gibt's nur Köpfe zu sehen – getreu dem Motto: Wer zu Lebzeiten mit dem Schreiben schlecht verdient, ist später nur eine Büste wert. Hanns Henny Jahnn schleppte sich mit allerlei Berufen durch, war zudem noch schwul und im Exil – gut, Terracotta-Kopf soll wohl reichen, zu finden am Witthüüs im Hirschpark, wo der Mann lange Jahre lebte. Seine ausufernden Romane kennt heute kaum noch jemand.

Und ist ein Dichter erst einmal zu Metall oder Stein erstarrt, braucht man nicht mehr zu lesen.

So schwierig wie sein Leben war auch der Weg zu seinem Denkmal – für den plattdeutschen Dramendichter Fritz Stavenhagen. Virtuos bewies er, daß auf Platt neben Klamauk auch Naturalismus oder Expressionismus auf die Bühne zu bringen war. Das Publikum wollte jedoch keine ernsten Texte, und so blieb er ein Hungerleider.

Den steinernen Stavenhagen konnte man bis 1961 an der Borsteler Chaussee sehen, dann wurde die Sandsteinsäule mit seinem Gesicht in den Garten seines ehemaligen Hauses in der Frustbergstraße 4 umgesetzt.

Ein Stückchen weiter die Straße hinauf wölbt sich ein anderes Dichterantlitz aus einer grauen Stele heraus, die wie Beton aussieht – Gustav Falke, der vergessene Lyriker, einst Konkurrent von Liliencron um Dichterehren, wohnte eigentlich in der nahen Brückwiesenstraße. Nun schauen sowohl Falkes wie auch Stavenhagens Augen auf die Besucher der Bücherhalle – solange es die noch gibt.

Posthum wurde Falke zum Nachbarn von Stavenhagen, nach dem hier auch eine Straße heißt, und eine nach Wilhelm Plog und eine nach Oscar Ortlepp. Naheliegende Erkenntnis: Ein Straßenschild für einen Dichter ist billiger als ein Denkmal. Denkmal und Name, nur Denkmal als Figur oder Kopf, oder nur Straßenname: immerhin, so lassen sich Rangfolge und Ansehen auch klassifizieren.

Und tut man sich an der Elbe schon mit Dichterdenkmälern schwer, werden die Dichterinnen – wenn überhaupt! – mit Straßennamen abgespeist. Ilse Frapan, Elise Averdieck, Sophie Jansen, Ida Dehmel, Marie Hirsch, Sophie Wörishöffer, Charlotte Niese, Johanna Wolf – auf deren Abbilder in Bronze oder Stein muß Hamburg wohl noch lange warten...