Zündeln am sozialen Brennpunkt

■ St. Georgs Kinder- und Jugendarbeit kurz vor dem Zusammenbruch

„Im Haus der Jugend gibt es alles“, schwärmt die junge St. Georgerin Sinem. Viel zu oft jedoch ist das zweistöckige 300-Quadratmeter-Haus mitten im sozialen Brennpunkt hinterm Hauptbahnhof geschlossen. „Wenn sich das nicht ändert“, sagt Sinem, „dann passiert was.“

Die Jugendlichen hängen zwangsläufig auf den Straßen herum, machen jüngeren Kindern ihre spärlichen Freiräume streitig und sorgen für Konflikte mit Anwohnern und Geschäftleuten, vor deren Fenstern und Ladentüren sie abhängen. Die andere Einrichtung für diese Altersgruppe, der Jugendkeller mit knapp 90 Quadratmetern, ist mit dem Andrang räumlich und personell hoffnungslos überfordert.

St. Georgs Initiativen und Sozialeinrichtungen sind erneut sauer auf Behörden und Politik. Sie machten ihrem Ärger gestern mit der Warnung „Kinder- und Jugendpolitik ist bald ein einziger Scherbenhaufen“ Luft. Längst hat der Senat mit seinem Armutsbekämpfungsprogramm und dem „Handlungskonzept St. Georg“ die Forderungen der BewohnerInnen beschlossen. „Aber es hakt an der Umsetzung“, so Helmut Voigtland vom Bürgerverein St. Georg.

Nun droht ein massiver „Rückschritt“, fürchten die seit Jahren engagiert für einen nicht explodierenden Stadtteil kämpfenden Initiativen. Die Behörde für Schule und Jugend hat beschlossen, daß die zusätzlichen „Brennpunkt“-Betreuerstellen, die jeder Kinderhort als präventive Maßnahme 1993 bekam, wieder gestrichen werden. Weil die Kinder zukünftig in der „Verläßlichen Halbtagsschule“ betreut seien, „wird die Sonderausstattung reduziert“, so Jugendamts-Chef Jürgen Näther. Damit sei St. Georg immer noch „besser ausgestattet als Harvestehude“.

„Zündelt die Behörde am sozialen Brennpunkt?“, fragt deshalb die Elterninitiative. Während die Probleme mit den Kids zwischen „10 und 16 Jahren“ sich verschärfen, werden Stellen gestrichen. Das bei den Kids „sehr anerkannte“ Haus der Jugend, wo trotz der eingeschränkter Öffnungszeiten 250 Jugendliche täglich einlaufen, muß mit einer Personalkürzung von fast 50 Prozent leben: fünf statt bisher neun Stellen inklusive zwei BetreuerInnen ausschließlich für die Kinderarbeit. Stellen werden nicht wiederbesetzt, sondern „bewirtschaftet“, wie im Behördenjargon das Einfrieren genannt wird.

Somit liegt nicht nur das konzeptionelle Herzstück der St. Georger Jugendarbeit brach, sondern auch der Beschluß der Stadt, die Öffnungszeiten entschieden auszuweiten. „Nach 20 Uhr findet in der Jugendarbeit nichts mehr statt“, so Voigtland vom Bürgerverein. „Das lassen wir uns nicht gefallen“, ergänzt Gunter Marwege, Pastor in St. Georg. „Die Jugendlichen werden der Gefahr ausgesetzt, in die Szene abzugleiten.“ Silke Mertins