Doña allein zu Haus ...

■ Saisonbeginn am Goetheplatz : „Doña Rosita“ - überraschend, schrill und lustbetont

Gibt es ein Leben ohne Männer? Wer die Geschlechterfrage aus dem Theatersessel heraus beantworten will, hat Grund zum Staunen. Schon 1935 hat Federico Garcia Lorca mit „Dona Rosita bleibt ledig“ ein Stück verfaßt, das die männerlose Gesellschaft auf die Bühne bringt. Unter den 28 Rollen finden sich gerade vier für Schauspieler.

Und die Show stehlen ihnen die Frauen allemal: Die Mutter der drei Manola-Töchter – eine schrille Dr. Oetker Köchin. Die Tante Rositas – eine Pferdenärrin, die zu schmissiger Musik über die Bühne galoppiert. Und die drei „Jungfern“ – in verführerische bodenlange Abendkleider gehüllte Hexen.

Regisseurin Konstanze Lauterbach hat mit der Premiere zum Spielzeitbeginn am Goetheplatz den Lorca beim Wort genommen. Ihre Inszenierung des strengen Klassikers überbrückt das Jammertal der ledig gebliebenen Frauen von Anfang des Jahrhunderts mit Stickleitern, an denen Luftballons baumeln. Doña Rosita, Trendsetterin der Singlegeneration?

Dabei trugen bislang die Figuren aus Federico Garcia Lorcas Stück den Weltschmerz der Jahrhundertwende mit sich herum. Auf den ersten Blick könnte die aussterbende großbürgerliche Gesellschaftsschicht auch aus einem von Tschechows Kirschgärten stammen. Im ersten Bild verlobt sich Doña Rosita mit einem ihrer unbedeutenden Vettern. Doch der junge Mann erweist sich als wenig nützlich, denn er entschwindet sofort mit einem Auswandererschiff ins ferne Argentinien. Und ward nicht mehr gesehen. Rosita fühlt sich an ihr Verlobungsversprechen gebunden, bleibt ihm treu: 15 Jahre, 25 Jahre, wahrscheinlich bis in den Tod. Mehr geschieht nicht. Aus dem verliebten jungen Mädchen wird die Wartende, die unermüdlich ausharrt und hofft und schließlich dahinwelkt.

Doch während Lorcas Stück sich mit dem stillen Drama dieses ungelebten Lebens beschäftigt, ist Konstanze Lauterbach schon einen Schritt weiter. Die Regisseurin aus Leipzig, die mit der Inszenierung von „Sterne am Morgenhimmel“ im letzten Jahr schon die Bremer begeisterte, kennt keine Opferrollen. Ihre Frauenfiguren sind dem typisch weiblichen Schicksal der Jahrhundertwende ebensowenig unterworfen wie Lorcas manchmal pathetisch schwerem Text.

Was stöhnen und seufzen die jungen Frauen von Granada sich bei Lorca die Sehnsüchte aus dem Herzen! Bei Lauterbach geht die Sinnlichkeit durch den Körper. Unter der Choreographie von Elisabeth Clark dürfen die schönen Manolas, Töchter aus verarmtem Hause, zu den verführerischen Klängen von Ravels „Bolero“ den Fächer schlagen. Das Resultat: Eine hoch erotische Attacke auf das verblüffte Publikum. Die langen Haare fliegen bei jeder Wendung der stolzierenden Gruppe langbeiniger Mädchen, die sich in autoerotischer Selbstvergessenbeit die Gliedmaßen massieren. Dann küssen sich die Leichtbekleideten am großen Balettsaalspiegel die Lippen blind und beschließen den Einblick in ihre Bravo-Welt mit einer Wasserschlacht, die zur Wet-T-Shirt-Competition ausufert. Keine Frage: die choreografisch durchgestalteten Gruppenszenen machen die Stärke der Inszenierung aus.

Irene Kleinschmidt in der Titelrolle transportiert die Interpretation mühelos. Sie ist alles zugleich: mutig und leidend, gramgebeugt und selbstbewußt. Mit genauer Textarbeit wird immer wieder dem Pathos des Originaltextes zu Leibe gerückt. Der Trick ist einfach: Mit scheinbar trivialen Sätzen wird der hochpoetische Text kontrastiert. „Sag' das noch mal ganz ruhig“, oder „Das ist jetzt wohl nicht mehr so interessant“, heißt es plötzlich zwischen den schmerzhaften Erkentnissen des Originaltextes. Der Effekt: Von Doña Rositas Leben ist der Schleier der Vergangenheit hinweggezogen. Sie ist eine, die auch heute leben könnte.

Schade, daß die wunderbaren Regieideen sich nicht bis zum Ende durchhalten lassen. Nach der Pause, als Doña Rosita ihr Scheitern einsehen muß, sackt die Inszenierung ins Bleischwere ab. Nur noch einmal wird mitten in der Abrechnung zwischen der Tante, der Haushälterin und der ewigen Verlobten ein unerwartetes Bild versucht. Alle drei Frauen hängen sich an die alte Teppichstange. Doch kein einziger Klimmzug gelingt mehr. Das verwöhnte Publikum bleibt unbefriedigt zurück. Hatte Konstanze Lauterbach ihm doch in den ersten eineinhalb Stunden gezeigt, wie verblüffend phantasievoll, bilderreich und visionär Lorcas „Doña Rosita“ sein kann.

Susanne Raubold

Nächste Aufführung: Diesen Samstag, 21.9. und 4., 16., und 25. 10. um 20 Uhr im Schauspielhaus