Wenn hoch oben die Psyche streikt

■ Die Psyche des Menschen ist für den Bergführer ein Risiko

„Wenn du unterwegs merkst, daß einer aus der Gruppe, die du führst, körperlich abbaut, dann kannst du ihm Gepäck abnehmen, mehr Pausen einlegen oder eine leichtere Route einschlagen. Wenn aber einer einen Koller bekommmt, dann bist du machtlos“, erzählt Alois Zopf. Seit über 40 Jahren ist er Bergführer. Bisher hat er die Menschen, die sich ihm anvertrauten, alle sicher heruntergebracht. Von den Viertausendern der Alpen, von den Achttausendern des Himalayas. „Das Unberechenbarste beim Trekking“, sagt der 63jährige Bergführer aus dem Salzkammergut, „ist die Psyche des Menschen.“ Sie kann, anders als der Körper, nicht trainiert, nicht fit gemacht werden.

Immer wieder kommt es vor, daß selbst erfahrene Bergsteiger in unvorhergesehenen Situationen seelisch kollabieren. „Sie verlieren plötzlich jeden Bezug zur Realität, haben übersteigerte Ängste oder geraten in selbstüberschätzende Euphorie, die zu Kräfteverschleiß, Entkräftung und zu Absturzgefahr führen kann.“ Die schwierigste Tour in dieser Hinsicht war für Luis eine Bergtour mit einer Frau. Sie war körperlich fit und hatte bereits einiges an Bergerfahrung. Als die beiden aber in großer Höhe von einem Gewitter überrascht wurden, bekam sie den „Koller“. Sie weigerte sich plötzlich weiterzugehen. „Sie klammerte sich am Fels fest und wollte nur noch sterben.“ Luis wußte, daß in diesem Zustand selbstmörderische Komponenten auftauchen können. Hinzu kam, daß durch den Eisregen der steile Fels zur gefährlichen Rutschbahn geworden war. „Ich sicherte sie und mich mit Seil und Haken. Währenddessen versuchte ich alle Tricks, sie aufzumuntern. Erfolglos. Sie rührte sich nicht einen einzigen Zentimeter vom Fleck.“

Und wie hat er sie dann wieder vom Berg heruntergebracht? „Meine Hände brauchte ich beide für die Seilsicherung. Also blieb mir nichts anderes übrig, als die Füße einzusetzen.“ In seiner Not hat er die Frau buchstäblich vom Berg hinuntertreten müssen. Als sie in tiefere Regionen kamen, wurde die Situation besser. Die Frau konnte wieder klar denken und war wieder selbst handlungsfähig.

„Die meisten Leute fangen sich sehr schnell, wenn man tiefer kommt. Weiter unten ist die Strecke sicherer. Dazu kommt, daß mehr Sauerstoff in der Luft ist und das Atmen leichter fällt. Bis du hinunter ins Tal kommst, sind die meisten wieder in Ordnung. Ganz selten, daß sich jemand nicht von selbst einfängt. Den muß man dann zur Schockbehandlung für ein paar Tage ins Krankenhaus bringen.“ Roberto Hohrein