Aber bloß keine violetten Schweine!

Noch mehr Probleme mit der Verwandtschaft: In der Alten Nationalgalerie Berlin wird mit Hugo von Tschudis Sammlung des französischen Impressionismus die von Deutschland so ungeliebte Moderne noch einmal erfunden  ■ Von Harald Fricke

Seine Beurlaubung war keine Überraschung. Im März 1908 wurde das Gesuch des Direktors der Berliner Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, von Kaiser Wilhelm II. genehmigt. Der Schweizer Kunsthistoriker und -sammler ging für ein Jahr auf Ostasienreise und folgte 1909 der Berufung an die Münchner Pinakothek. Damit schien die Kunst der Moderne zumindest von Berlin fürs erste abgewendet.

Mit der Sammlung Tschudi kehren nun im Rahmen der Festspiele 80 Gemälde und 20 Skulpturen zurück nach Berlin. Es sind vor allem Hauptwerke des Impressionismus, wunderbar samtgrün und sonnenblumengelb schimmernde van Goghs, Cézanne-Stilleben ebenso wie Rodins „Kauernde“ oder Claude Monets unmerklich rot aus der grauen Fläche hervortretende „Kathedrale von Rouens“. Ausbruch der Farben, lange vor jedem Pollock.

Bereits zwischen 1904 und 1911 hatte ein Großteil dieser Werke in Depots der Nationalgalerie gelagert – von Tschudi angekauft und niemals ausgestellt. Im nachhinein fällt es den Direktoren trotzdem leicht, von der Hauptstadt als Kunstmetropole zu sprechen. Historisch gesehen hatte die Moderne hier ja auch ihren Weg ins Museum begonnen, wenn auch meist nur in die Lagerräume. Immerhin wurde mit Eduard Manets 1871 entstandenem „Im Wintergarten“ kurz nach Hugo von Tschudis Amtsantritt 1896 das überhaupt erste Bild des Frühimpressionisten für ein Museum erworben. Nicht einmal im Pariser Grand Palais hingen zu dieser Zeit Bilder der neuen Maler, die mit einer „leichten“, nur am Licht und der Wahrnehmung orientierten Malerei, die sich deutlich vom Geschichtspathos der Romantik absetzte, auf den Kunstsalons für Skandale sorgten.

Unsittliche Szenen in Gartenpavillons

Das Gemälde ist bei aller Respektierlichkeit der stillen Gartenszene erotisch konnotiert. Jules Guillemet, ein Pariser Modehausbesitzer, und seine amerikanische Gattin treffen sich in einem jener Treibhäuser, in denen sich zeitgleich auch Zolas Liebesgeschichten abspielten. Noch 1904 wurde die harmlose Darstellung bei einer Landtagsdebatte zum preußischen Kulturetat als anzüglich und unsittlich gewertet. Auch acht Jahre nach dem Erwerb des Manet-Bildes hielt man die Beschäftigung mit der französischen Kunst für Geldverschwendung. Lieber solle von Tschudi doch deutsche Malerei kaufen, die sich mit beständigen Werten statt dem Leben der Boheme beschäftigte.

Nun verhielt es sich in Sachen Ankaufspolitik um 1900 ganz anders als bei der heutigen Kunst, die oft direkt fürs Museum produziert und auch nur in dessen Rahmen diskutiert wird. In seinem Buch über Hofkünstler beschreibt der Hamburger Kunsthistoriker Martin Warnke en détail, wie sich der Charakter des autonomen Künstlers erst aus der Auftragsmalerei für Staat und König herausschälen mußte. In den Berliner Begebenheiten der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts mag man bereits den Wandel erkennen. Meist standen reiche Bürger bereit, um aus ihrem Interesse am kulturellen Fortschritt als Mäzene für Tschudi zinsfreie Gelder zur Verfügung zu stellen, damit er bei Kunsthändlern wie dem Berliner Paul Cassirer oder Paul Durand-Ruel in Paris Arbeiten erstehen konnte (seine Liebe zu den Franzosen hatte Tschudi entdeckt, als er 1882 den Salon der Bernsteins besuchte).

Danach wurden die Bilder dem Kaiser vorgestellt, der darüber entschied, was in die Sammlung der Nationalgalerie aufgenommen werden durfte. Ähnliches geschah auch in Bremens Kunsthalle unter der Ägide von Gustav Pauli, in Weimar, Dresden oder Hamburg, die neben München den größten Teil der Leihgeber für die Berliner Präsentation ausmachen. (Ohne das Joint-venture mit der Pinakothek wäre die Berliner Ausstellung kaum zustande gekommen.)

Nach dem Geschmack von Kaiser Wilhelm II.

Über das Verhältnis zwischen Hugo von Tschudi und Wilhelm II. gibt es Anekdoten, die der Kritiker und zeitweise Museumsvorstand Julius Meier-Graefe überliefert hat: Aufgeregt sei der Kaiser in weißer Uniform bei solchen Rundgängen vor den Bildern herumstolziert, habe sich über „violette Schweine“ mokiert und schließlich doch eingewilligt. Denn Tschudi verstand es, bei aller Leidenschaft diplomatisch vorzugehen. Auf der Internationalen Kunstausstellung in Berlin 1896 ließ er Wilhelm II. selbst einige Ankäufe auswählen.

Damit war der Preußenkönig, der von Kunst die gleiche Unterordnung verlangte wie von seinen Staatsbürgern, einigermaßen milde gestimmt. Und Tschudi durfte kaufen, das Museum umgestalten, neu hängen und die Berliner Sammlung vergrößern: Landschaften von Edouard Vuillard, Porträts von Auguste Renoir; Paul Cézannes „Mühle von Pontoise“ oder Gustave Courbets in beängstigendem Grün schillernde „Welle“, die er 1904 erstand und zwei Jahre danach in der Nationalgalerie erstmals zeigen konnte – in eben jener Sammlung, zu der auch Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ gehörte.

Von solcherart Konfrontation versprach sich Tschudi die rückwirkende Kraft des Neuen auf die ältere Malerei. Sein Amtsvorgänger Wilhelm Bode, bei dem Tschudi assistiert hatte, sah dagegen in diesem Vorhaben eine Relativierung der historischen Positionen unter dem Verdikt der bloßen Zeitgenossenschaft: Daß auch die von ihm so geschätzte deutsche Romantik sich einmal hatte durchsetzen müssen, kam Bode nicht in den Sinn. Dabei hätte ihm Tschudi in seiner Vorliebe nicht einmal widersprochen. Noch 1905 stellte er Neuerwerbungen von Waldmüller, Böcklin oder Leibl aus.

Andererseits standen sich in Berlin bereits frühe Expressionisten um Kandinsky und Traditionalisten wie Bode oder Anton von Werner einigermaßen unversöhnlich gegenüber. Während die einen den Impressionismus strategisch als Bindeglied hin zum Geistigen in der Kunst benutzen wollten, galt für die anderen nur als wertvoll, was historisch gewachsen war.

In diesem Konflikt machte Tschudi keine gute Figur. Zu sehr war ihm an der „Wahrheit der Malerei“ gelegen und nicht an ihrer Bedeutung als kulturpolitische Manövriermasse; zu sehr interessierte ihn an van Gogh oder Renoir die Persönlichkeit hinter den Bildern. Statt sich in den Konflikt einzumischen, zog er sich in die Position des nonchalanten privaten Liebhabers zurück. Daß Max Liebermann als Präsident der Berliner Akademie der Künste statt braun getönter Äcker inzwischen mit den hellen Farben des Impressionismus malte, mag dennoch als Erfolg der Sammlungstätigkeit Tschudis gelten. Der Worpsweder Maler Carl Vinnen hatte auch dafür nur das Prädikat „Rinnsteinkunst“ übrig. Die Ausstellung in Berlin zeigt noch einmal, wie schwer es in Deutschland fiel, sich mit der Moderne zu arrangieren – vor allem der französischen.

„Manet bis van Gogh – Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne“. Bis 6. Januar 1997, Alte Nationalgalerie, Berlin. Katalog, 463 Seiten, 48DM