Müllerhalde der Geschichte

■ Wenn der Künstler Dieter Hacker für das Theater arbeitet, lassen sich die Requisiten hinterher verkaufen. Jetzt läßt er abgerissene Köpfe und Trümmer durch Steckels Wiener Inszenierung von Müllers "Germania 3" z

Dieter Hacker wurde 1942 in Augsburg geboren und studierte von 1960 bis 1965 an der Akademie der Bildenden Künste in München. 1970 zog er nach Berlin, wo er sich mit der „7. Produzentengalerie“ als politisch orientierter Konzeptkünstler und Ausstellungsmacher einen Namen machte. Seit Ende der 70er Jahre widmet sich Hacker der Malerei und der Bildhauerei. In den letzten Jahren waren seine Arbeiten etwa bei bei „Berlinart“ 1987 in New York und bei „Ambiente Berlin“ 1990 in Venedig vertreten.

Seit 1986 arbeitet Dieter Hacker auch als Bühnenbildner – mit Luc Bondy an der Berliner Schaubühne oder Frank-Patrick Steckel am Schauspielhaus Bochum. In Bochum inszenierte Hacker 1992 zum ersten und bisher einzigen Mal auch selber: den „Ödipus“ des Sophokles. Jetzt hat er im Wiener Akademietheater die Bühne für Steckels Inszenierung von Heiner Müllers „Germania 3. Gespenster am Toten Mann“ gestaltet. Die Premiere ist heute abend.

taz: „Germania 3“ ist ein sehr schwieriges, collagenhaftes Stück. Wie sehen Sie das?

Dieter Hacker: Das Problem ist, daß es bei „Germania 3“ Teile gibt, die von Heiner Müller zuvor schon präziser oder poetischer formuliert wurden. Müller hat, das ist zumindest meine Interpretation, „Germania 3“ gewissermaßen als ratloser Kommunist geschrieben. Der Sozialismus ist zusammengebrochen, eine neue Welt entsteht, und Müller sitzt da und fragt sich, ja Scheiße, wie konnte das passieren.

Klingt knifflig. Wie gehen Sie als Bühnenbildner damit um?

Ich habe mir gedacht, man müßte dem Uferlosen und Offenen des Textes Ausdruck verleihen. „Germania 3“ ist nicht so verankert wie Müllers frühere Stücke. Ich fand es wichtig, selber einen Anker zu setzen, irgendeinen Punkt, von dem aus das Ganze gesehen werden muß.

Woran haben Sie sich bei Ihrer Arbeit orientiert?

Wenn das Stück nicht schon eine feste Rezeptionsgeschichte hat, ist es schwierig, erst einmal Boden unter die Füße zu bekommen. Dann spinnt man rum, es fallen einem der Berliner Alexanderplatz ein, der Potsdamer Platz, die ganzen Baustellen. Das Zusammenbrechen des Sozialismus, das Einstürzen der Mauer, das sind die Metaphern der neunziger Jahre. Die Trümmer stehen alle noch herum, und aus diesem Trümmerhaufen entsteht innerhalb weniger Jahre etwas völlig Neues mit völlig neuen Wertmaßstäben. Ich wollte die Bühne zu einem Ort der Umschichtung machen.

Wie sieht das genau aus?

Ort und Zeit der Aufführung sollte Berlin Ende 1989 sein. Die Bühne zeigt den Mahlstrom der Geschichte, eine Müllhalde, aus dem Hintergrund quellen die zertrümmerten Denkmäler hervor. Man kennt das ja von Fotos, Lenin, der von Kranwagen gepackt und auseinandergenommen wird. Es gibt eine riesige Schräge, wie von einem Gletscher kommen lauter Köpfe den Berg runter. In diesem Haufen taucht die ganze Müllersche Welt auf. Mir hat die Vorstellung gefallen, daß auf so einer Bühne nicht mehr die üblichen Gänge und Arrangements möglich sind, weil überall Sachen rumliegen. Ich glaube, der Regisseur hat manchmal über mich geflucht.

Wie unabhängig sind Sie denn als Bühnenbildner?

Ich mache die Bühne als Maler und Bildhauer, nicht als jemand, der die Ideen eines Regisseurs nur bildnerisch ausgestaltet. Ich mache Vorschläge und versuche, den Regisseur davon zu überzeugen. Dann muß man einen gemeinsamen Nenner finden.

Haben Sie die anderen „Germania 3“-Produktionen gesehen, die Uraufführung durch Leander Haußmann am Schauspielhaus Bochum und Martin Wuttkes Inszenierung am Berliner Ensemble?

Die Aufführung in Berlin habe ich gesehen.

Hat Sie das beeinflußt?

Ich glaube, in einer Wettbewerbssituation wie dieser, in der drei bedeutende Theater das gleiche Stück spielen, würde jeder versuchen, sich davor zu schützen, daß es Parallelen gibt. Ich hätte Probleme gehabt, die Inszenierung anzusehen, wenn ich noch nicht gewußt hätte, was ich selber machen möchte. Aber als ich in der Berliner Aufführung war, war schon klar, wie das Wiener Bühnenbild aussehen würde. Sonst hätte in der Tat die Gefahr bestanden, daß ich nicht mehr frei gewesen wäre.

Wie lange brauchen Sie von der Idee für ein Bühnenbild bis zu dessen Realisierung?

Bei der Arbeit an meinem ersten Bühnenbild für die „Fremdenführerin“ von Botho Strauß [Regie: Luc Bondy, Schaubühne, 1986; d. Red.] bin ich extra nach Griechenland gefahren und zwei Wochen in Olympia herumgeschlichen, um auf eine Idee zu kommen. Generell brauche ich für ein Bühnenbild ungefähr ein halbes Jahr. Bei professionellen Bühnenbildnern ist das anders, die machen ja vier, fünf Produktionen pro Spielzeit. Für das Theater ist das natürlich ein Risiko, jemanden zu engagieren, von dem man nicht weiß, ob er so eine Maschinerie überhaupt im Griff hat. So ein Bühnenbild ist eine sehr komplexe Konstruktion.

Kommt es vor, daß ein Bühnenbild während der Proben verändert wird?

In Details ändert sich vieles. Es gibt Beispiele, wo zwei Wochen vor der Premiere das Bühnenbild noch einmal komplett umgekrempelt wird, weil man merkt, das geht so nicht. Mir ist das aber noch nicht passiert. Ich setze mich lange vor der Aufführung mit dem Regisseur zusammen, mache ein Modell, an dem wir die Szenen durchgehen.

Haben Sie das Gefühl, daß Sie fremdgehen, wenn Sie fürs Theater arbeiten?

Überhaupt nicht, im Gegenteil. Dadurch kommen neue Themen in meine Malerei. Ich habe zum Beispiel jetzt angefangen, eine Serie von großen Papierarbeiten über „deutsche Motive“ zu machen. Ohne das Heiner-Müller- Stück und die intensive Beschäftigung mit deutscher Geschichte wäre ich nicht so ohne weiteres darauf gekommen.

Auch anders herum gibt es enge Beziehungen. Beim „Ödipus“, meiner ersten eigenen Inszenierung, war die Bühne ein Atelier. Ein Schauspieler, Armin Rode, spielte einen Maler, der versucht, sich mit den unterschiedlichsten Mitteln dem Ödipus-Thema zu nähern. Dazu rezitiert er den Text. Zum Schluß malt er Bilder, zehn großformatige Gemälde, das waren meine.

Was ist mit denen passiert, als sie nicht mehr für das Bühnenbild gebraucht wurden?

Die hat der Brusberg, mein Galerist. Die verkauft er.

Interview: Ulrich Clewing