Neues über die Zeugen der Anklage

Im Lübecker Prozeß sagen am Montag die Sanitäter aus, die Safwan Eid belasten. Der Kripo liegen neue Aussagen über die Belastungszeugen vor. Danach führen auch bei ihnen Spuren in die rechte Szene  ■ Von Andreas Juhnke

Der Anruf der Belastungszeugen muß für die Lübecker Polizisten der Soko 1/96 erlösend gewesen sein. An diesem Nachmittag des 19. Januar 1996 waren sie durch alle Höhen und Tiefen der Ermittlungen zur Brandkatastrophe gegangen. Kaum drei Stunden nach dem Brand erfolgte die Festnahme von zuerst drei Tatverdächtigen. Schließlich, am Morgen des 19. Januar, das Alibi durch eine Polizeistreife. Die vier Männer aus der Grevesmühlener Gegend — wieder frei; die Ermittlungen — am Nullpunkt. Wer hätte da diesen Zeugen wegschicken können?

Ein DRK-Vorgesetzter, Matthias H., avisierte ihn bei der Kripo. Kurz darauf saß der Rettungsassistent des Deutschen Roten Kreuzes, Jens L. – damals 25 Jahre, Wehrdienstverweigerer, unbescholten, bei klarem Verstand – im Präsidium. Er habe als Katastrophenschützer Leichtverletzte auf dem Weg ins Hospital betreut. Während der Fahrt habe ihm ein Hausbewohner die Brandstiftung gestanden. „Wir waren es“, habe er klar gesagt. „Sie“ hätten Streit mit einem Familienvater gehabt, mit Benzin Feuer an einer Tür gelegt, das dann brennend die Treppe hinunterlief. Tags darauf erzählte Jens L. seinem besten Freund Matthias H., daß er ein Geständnis gehört habe. Und der rief die Kripo an.

Ein Belastungszeuge, drei Zeugen vom Hörensagen: Es war nicht rechts, sondern durchaus rechtsstaatlich, daß daraufhin der Hausbewohner Safwan Eid vernommen wurde, den der Sanitäter Jens L. und seine Kollegin später zweifelsfrei auf Fotos als den Mann mit dem Geständnis erkannten. Eid bestritt alles und nannte gute Gründe, warum er es nicht war.

Aussage gegen Aussage — das kommt vor. Aber seitdem muß Safwan Eid beweisen, daß er das Haus nicht angezündet hat.

Die Beweislage ist denkbar dünn für diesen schweren Vorwurf. Kein belegtes Motiv, kein Sachbeweis, keine Indizien stützen die Anklage. Die Belastungszeugen, die ab Montag aussagen, haben ihre Glaubwürdigkeit teilweise schon eingebüßt. Denn vieles widerspricht ihren Angaben. Und: Neue Ermittlungen der Kripo über die Zeugen haben Erstaunliches zutage gefördert.

In den Unterlagen der Kripo lagen schon zum Zeitpunkt, als Jens L. seine Angaben machte, ganz andere Aussagen über Safwan Eid und seine Gespräche am Brandort und im Bus vor. Jörg M. vom Kripodauerdienst hatte mit Eid an der Verletztensammelstelle gesprochen. Der Busfahrer Mario B.-W. sprach mit ihm im Bus. Beide gaben zu Protokoll, daß Eid ihnen von einem Anschlag auf das Haus erzählt habe, den sein Vater und seine Schwester gehört hätten. Safwan Eid, so bestätigte er es auch im Prozeß, habe auch dem Sanitäter davon erzählt.

Viele Widersprüche müssen geklärt werden

Seit Anfang Juli die jetzt verhandelnde Jugendkammer Safwan Eid freiließ, weil kein „dringender Tatverdacht“ bestand, interessierte sich die Kripo für die Zeugen der Anklage. Besonders die Geschichte Matthias H.s wurde bei Zeugenbefragungen ermittelt. Der 24jährige Krankenpfleger ist seit vielen Jahren in Hilfsorganisationen der Stadt tätig, zuerst beim Malteser Hilfsdienst, dann beim Roten Kreuz. Er schickte seinen Freund Jens L. in der Brandnacht in den Bus mit Eid, er informierte die Kripo über das Geständnis. Er will sogar schon von dem Schuldbekenntnis gehört haben, bevor Jens L. mit Eid gesprochen hatte. Noch vor Abfahrt des Busses habe ihm Jens L. davon erzählt, meinte H. bei seiner letzten Vernehmung. Seltsam: Jens L. kam erst mit Eid ins Gespräch, als der Bus auf dem Weg ins Krankenhaus war.

Matthias H. ist in der Lübecker Helferszene kein Unbekannter. Ende der achtziger Jahre wurde auf der Suche nach vermißtem medizinischem Gerät Matthias H.s Schrank bei den Maltesern geöffnet. Die Retter fanden, so jetzt vorliegende Zeugenaussagen, einige Stetoskope und Flugblätter, die mit der Unterschrift „Verteidigungsabschnitt Schleswig-Holstein Süd“ wie selbstgefertigte Aufrufe zur Gründung einer Wehrsportgruppe aussahen. Dabei hätte Propagandamaterial einer rechtsextremen Gruppe gelegen, möglicherweise auch ein Gasrevolver.

Matthias H. hat nur den Fund der Flugblätter eingeräumt. Rechtes Propagandamaterial habe er nicht gehabt, in einer Wehrsportgruppe nie gewesen. Er habe nur gerne Krieg gespielt. Wie das aussah, schilderte der Kripo eine Zeugin, die damals mit ihm durch den Wald gezogen war. Sie trugen Tarnanzüge, hatten die Gesichter geschwärzt und kämpften mit Waffenattrappen. Ein ähnliches Hobby hat Matthias H. noch heute. Mal nennt er seinen Verein „Lübeck Leathernecks“, dann wieder „1. Lübecker Paintball Verein“. Heute sind es schwarze Overalls, die sie tragen, statt mit Attrappen schießen sie nun mit Druckluftpistolen und Farbmunition aufeinander. Jens L., sein bester Freund, war mindestens einmal dabei, wie er der Kripo zugab. Das sei alls nur „Fun“, so der Zeuge der Anklage. Um keinen Verdacht zu erregen, hätten sie „Nicht an Wehrsport interessiert“ auf ihre Werbezettel geschrieben.

Und Matthias H. legte der Kripo sogar einen Aufnäher vor: „Paintballspieler gegen Rassenhaß“ steht da drauf. Den trügen jetzt alle Clubmitglieder, sagt er. Tatsächlich existierte zum Zeitpunkt der Aussage nur ein Exemplar. Dafür wurde eine Satzung für den nicht eingetragenen Verein geschrieben. Der Vorstand, Matthias H. und ein Freund, amtiert, so Paragraph 1.3, „auf Lebenszeit“, weil die „Clubideologie“ auf seinem „Gedankengut“ beruht. Weiter heißt es: „Der Club verwahrt sich gegen die Bezeichnungen Wehrsportgruppe oder militärische Einheit, da diese unwahr sind.“ Und: „Allen Mitglieder ist es verboten, sich in radikalen Gruppierungen zu bewegen.“ Ende der achtziger Jahre war das scheinbar anders. „Hundertprozentig“ wußte jetzt ein damaliger Freund Matthias H.s und Mitkämpfer in der Wehrsportgruppe der Kripo von dessen Kontakten zur rechten Szene zu berichten. Was darunter zu verstehen ist, wurde er nie gefragt. Die zweite Zeugin der Kriegsspiele mußte für die Ermittler auch nicht deutlicher werden. Ja, rechtsorientierte Bekannte habe man gehabt, auch ausländerfeindliche Sprüche seien gefallen. Aber der Matthias war kein Rechtsradikaler, dafür wäre er zu jung gewesen. Wie auch immer, nach neun Jahren trennten sich damals die Malteser von Matthis H. Als er sich 1991 wieder für eine Mitarbeit interessierte, wurde dankend abgelehnt, obwohl die Malteser Helfer suchten. Dafür nahm ihn das Rote Kreuz.

300 Kilometer mit dem Taxi für nur 150 Mark?

Auch Hauptzeuge Jens L. beschäftigte in den letzten Monaten noch einmal die Ermittler. Sie hatten gehört, daß einer der vier Grevesmühlener einen Zettel mit Namen und Telefonnummer von Jens L. gehabt haben soll – einige Wochen vor dem Brandanschlag. Beide bestritten aber, sich zu kennen. Und Maik W., den seine Freunde „Klein Adolf“ nennen und der wegen neonazistischer Umtriebe vorbestraft ist, bestätigte der Kripo immerhin, im Besitz eines Zettels mit dem Namen L. gewesen zu sein, allerdings nicht Jens L. Ein Taxifahrer namens L. habe ihn eines Tages von Bad Oldesloe für 150 Mark in die Nähe von Rostock gefahren. Den Fahrpreis habe er aber nicht zahlen können. Statt dessen hätte er von L. eine Visitenkarte bekommen, um irgendwann zu bezahlen. Plausibel klingt dies nicht. Der Fahrpreis ist viel zu gering für die Tour über knapp 300 Kilometer. Und vor allem: Die Kripo konnte in Bad Oldesloe keinen Taxifahrer namens L. finden.

Viel wird in der kommenden Woche im Lübecker Prozeß zu klären sein, wenn die Zeugen der Anklage auftreten. Auch wie der vierte Zeuge vom Hörensagen, der Zugführer Jörg Sch., erfahren hat, was er weiß. Jens L. bestreitet, mit ihm über das Geständnis gesprochen zu haben, als er am Morgen nach dem Brand zurück ins Depot des Roten Kreuzes kam. Jörg Sch. glaubt sicher, noch am frühen Morgen die Geschichte gehört, aber nicht geglaubt zu haben.

Fehlende Widersprüche, so lautet auch in Lübeck eine Kriminalistenweisheit, deuten auf Absprachen hin. So waren die Ermittler gelassen ob der Ungereimtheiten unter den Zeugen der Anklage in der Brandsache Hafenstraße. Der Umkehrschluß ist nicht möglich: Widersprüche allein erhöhen die Glaubwürdigkeit auch nicht.